Text: Jan Kranczoch – Fotos: Jörg Basler
Inmitten des Rheinischen Braunkohlereviers liegt das kleine Städtchen Aldenhoven. Bei der Anreise fallen die wie berghohen Abraumhalden und dampfenden Kühltürme als Zeugen des weiterhin betriebenen Tagebaus auf. Die Ebene ist zudem aufgrund der reichen Böden intensiv landwirtschaftlich genutzt und ansonsten fast leergefegt, wodurch offenbar günstige Bedingungen für Windkraftwerke bestehen, die nun die Landschaft erobert haben.
Jedenfalls bietet die Gegend auch genügend Platz für einen weiträumigen Testparcours, der dem Namen nach – ATC (Automotive Testing Center) – eigentlich nur für motorisierte Fahrzeuge gedacht ist. Aber glücklicherweise sind Ausnahmen möglich…
Bei YouTube gibt es einen schönen Film über das Wochenende.
Der 2,1 km lange Rundkurs aus zwei etwa 600 m langen Geraden, verbunden durch zwei langgezogene Kehren mit deutlich unterschiedlichen Radien („eiförmig“ wäre also etwas verkehrt) ist stark überhöht und kann auch bei hohen Geschwindigkeiten ohne Seitenkräfte umrundet werden. Breit wie eine Autobahn, mit fast durchgehend sehr gutem Belag und Auslaufzonen ist er für HPV-Rennen nahezu ideal. Zudem können eine Servicehalle mit Rolltor und Sanitäranlagen angemietet werden, die unmittelbar neben der Bahn und einem großzügigen Freiplatz gelegen sind – Ressourcen für ein gut funktionierendes Fahrerlager. Nicht umsonst war diese Bahn bereits am 2. Juli Schauplatz der umwerfenden Leistungen bei den 6- bis 24-Stunden-Rennen (Holger Seidel berichtete im IB 232).
Der 2. September grüßte bereits in den Morgenstunden mit Flip-Flop Temperaturen und wolkenlosem Himmel. Als ich um 09:30 h an der ATC Strecke ankam, standen schon einige Velomobile in bunter Reihe auf dem Platz und aus der Halle kam Kaffeeduft. Bis zum Mittag trafen weitere Teilnehmende ein, manche hatten weite Anreisen aus Nord- und Süddeutschland oder den Niederlanden und Belgien auf sich genommen. Schon die üblichen Wechsel auf Rennbereifung und letzte Tuning-Arbeiten an den Gehäusen trieben den Velomobilisten die Schweißperlen auf die Stirn und bewogen manche zur Wahl eines Schattenplatzes. Währenddessen registrierten Veronika Schaffenroth und Otmar Buchert die Starter:Innen und vergaben die Transponder.
Bei Betrachtung der Liste konnte ich mich schon auf einen Podestplatz freuen, denn im Feld gab es neben 26 Velomobilen nur zwei unverkleidete (darunter mein Einspur-Fossil) und zwei teilverkleidete Fahrzeuge – also der typische Proporz der HPV-Klassen in den letzten Jahren.
Pünktlich zur Ansprache von Matthias König, dem Initiator dieses Renntags, der auch schon 2022 zusammen mit Ralf Golanowsky und Jörg Basler den Anstoß zu einem Renn-Samstag in Aldenhoven gab, zogen am Mittag einige Wolken auf und eine stetige Brise setzte ein. Die Windräder drehten auf Ost und begannen zaghaft ihr Werk. Zunächst sollte der Wettbewerb zur schnellsten Runde ausgetragen werden: Erst nach zwei Warm-Up-Runden unter der Führung eines Pace-Velomobils (Fahrer: Christian Wingken), in denen auf ca. 50 km/h angezogen wurde, durfte dieses überholt und richtig beschleunigt werden. Gewertet wurde dann einfach die Reihenfolge des Zieleinlaufs am Ende der dritten und letzten Runde, wobei Matthias die Nase knapp vor Richard Schaffenroth und Julian Kraft über den Zielstrich schob – alle natürlich in höchst renntauglichen Velomobilen.
Bei mir selbst konnte von „Beschleunigen“ in der Wertungsrunde leider nicht mehr die Rede sein. Zunächst konnte ich auch auf der Geraden mit dem leichten Gegenwind mein Tempo noch knapp über 50 halten, auf den letzten 400 Metern wurden meine Knie aber weich und Heinz Bentlage mit seinem teilverkleideten Razz-Fazz überholte souverän. Insgesamt konnte ich mein Ergebnis nicht über die wohlklingende 50 km/h-Marke retten. Etwa 90 Minuten Pause blieb den strapazierten Oberschenkeln zur Erholung, bis zur Aufstellung zum Stundenrennen gerufen wurde. Eine weitere Gnadenfrist kam hinzu, weil einem Teilnehmer gewährt wurde, eine Reifenpanne zu beheben, die unmittelbar vor dem Startschuss auffiel…
Also noch eine Weilchen Aufschub, das ich für einen Kaffee mit einer halben Banane nutzte. Dann aber geht es los: Schon in den ersten Runden fühle ich mich eher wie ein Zuschauer am Streckenrand, der die vorbeiziehenden Velomobile zählt. Dabei fahre ich teilweise über 45 km/h. Nach einer Viertelstunde fällt die Tachoanzeige aber in immer längeren Abschnitten unter diesen Wert, denn der auffrischende Wind zehrt sehr an den Kräften und bald auch am Gemüt. Außerdem habe ich offensichtlich im Sprintrennen überzogen, jedenfalls wirken die Beine merkwürdig träge.
Immer wieder höre ich das Rauschen eines größeren Resonanzkörpers von hinten aufschließen, gefolgt von der schnellen Passage eines gelben, roten oder grünen Velomobils. Rasant wird der Abstand wieder größer, obwohl ich mir jedesmal vornehme, drei bis vier Tritte den schwachen Sog auszunutzen, um im Tempo nicht zu sehr nachzulassen. Die Füße können aber kaum Druck auf die Kurbel ausüben, ich konzentriere mich auf möglichst schmerzfreies Pedalieren und gebe den widrigen Winden nach, wenn es allzu nötig ist. Nach drei Vierteln der Distanz finde ich mich irgendwie mit diesen Zuständen ab und das weckt kurioserweise neue Kräfte. In den letzten vier Runden kann ich die Geschwindigkeit wieder steigern und schließlich nehme ich sogar noch einen Sprint mit Heinz und Patrick Hagemann auf seinem unverkleideten Trike an, den ich zwar verliere – aber nach einer tröstlich schnellen Finalrunde.
Nach einer kurzen Verschnaufpause schwanke ich zu den Ergebnis-Aushängen der Zeitnahme, die Veronika Schaffenroth in beiden Rennen geleitet hat: Am Ende ist es doch noch ein Schnitt von deutlich über 40 km/h geworden, die Sieger in den vollverkeideten Velomobilen (Matthias König, gefolgt von Stephan Burmester und Ruben Schütze) waren aber nochmals satte 30 km/h schneller. Bei den Damen gewann Nici Walde vor Heike Jöst. Die Nachwuchsfahrerin Rieke Bentlage zeigte mit ihrem teilverkleideten Tieflieger ebenfalls ein konstant hohes Tempo. Detaillierte Resultate sind unter https://droplimits.de/BeND/bend-2023/results-bend-2023.html zu finden.
Für mich gab es also erneut Anlass, um anzuerkennen, dass bei der eigenen Leistung die Bäume nicht in den Himmel wachsen und die aerodynamisch optimierten Velomobile um Welten überlegen sind. Etwas Demut und verfehlte Ziele gehören nun einmal genauso zum Sport wie eine gute Tagesform und persönliche Bestleistungen.
Die Preise für Siegerehrungen, darunter hochwertige Reifen und Sportnahrung, wurden von Basler Bikes gespendet. Während der gemeinschaftlichen Aufräum-Aktion wurden noch die Reste des sehr üppigen Kuchen- und Snackbuffets genossen, das von zahlreichen Teilnehmenden zusammengetragen worden war.
In der wieder von Matthias König moderierten Abschluss-Runde wurde natürlich lautstark der Vorschlag begrüßt, weitere Veranstaltungen an diesem Standort abzuhalten. Aufgrund der tatkräftigen und finanziellen Förderung durch den HPV-Verein sowie der Nähe zu den Niederlanden und Belgien bestehen bestimmt gute Aussichten auf eine wachsende Popularität und spannende, vielfältige Wettbewerbe. Zu wünschen wäre das jedenfalls sehr…!