Velo-City-Konferenz in Leipzig

Text: Andreas Pooch – Fotos: Ruedi Müller, Andreas Pooch

In diesem Jahr fand die Velo-city-Konferenz in Deutschland statt. Leipzig war Gastgeber für den ECF. Vom 9. bis zum 12.5. bot das Kongresszentrum auf der Leipziger Messe die Räumlichkeiten für den Austausch der Fahrradwelt. Dabei kann man das Publikum nicht mit dem einer herkömmlichen Fahrradmesse wie der EUROBIKE vergleichen. Es handelt sich vielmehr um Fachpublikum aus Planung oder Verwaltung, es finden sich Infrastrukturleute ein, Mitglieder:innen von NGOs, uvm.

Der ECF als europäischer Dachverband von Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich für mehr und besseres Radfahren einsetzen, bot in den vier Tagen unterschiedliche Sessions, die die Besucher:innen auswählen konnten und mussten. Jeweils 18 Vorträge, zwei Mal sechs vormittags und sechs nachmittags, während der ersten drei Tage.

Der HPV-Stand
Für den HPV-Infostand auf der Velo-city wurde u.a. Paul Rinkowski thematisiert, ein leider
weithin unbekannter Leipziger Fahrrad-Erfinder. Dank der Hilfe von Tilmann Wagenknecht vom Ver-
ein „Historische Fahrräder e.V.“ konnten wir ein tolles Infobanner zu Rinkowski präsentieren.

Unterbrochen wurden die Sessions durch Kaffeepause und Lunch, gutes Essen hält Leib und Seele zusammen und alles ist im Preis enthalten. Immerhin bestimmt 80% fleischlos. Den Tag beendete in der Regel ein Plenum. Ein Beiprogramm und Party-artige Zusammenkünfte boten genügend Raum für das Netzwerken, was eine ganz wichtige Angelegenheit auf einer solchen Konferenz ist.

Die Sessions waren kategorisiert nach folgenden Gesichtspunkten:

  • Den öffentlichen Raum neu definieren
  • Gemeinsam für eine gerechte Umwelt arbeiten
  • Mobilitätssysteme der Zukunft jetzt schaffen
  • Starke Führung für Aktionen
  • Auf dem Weg zu klimaneutralen Ökonomien
  • Akademische Sitzungen.

Im Folgenden kommen Heike Bunte zu Wort, um über Details der Konferenz zu berichten, sowie Ruedi Müller.

Mehr Infos beim ECF, der Velo-City-Seite und bei Eurovelo.

Leipzig mit Springbrunnen
Die Lokation in Leipzig

Velo-City 2023: „Willkommen in Leipzig!“

Text, Fotos: Ruedi Müller

Solcherart wurden über 1.400 Teilnehmerinnen und mehr als 430 Redner im Kongresszentrum Leipzig begrüsst. „Leading the Transition“ lautete das Motto des diesjährigen Hauptanlasses der European Cyclists‘ Federation (ECF), Dachorganisation von über 60 Mitglied-Organisationen, wie etwa auch HPV Deutschland und Future Bike Schweiz.

Velo-city-Konferenzen sind Anlässe der Inspiration, des Austausches und der Freundschaften. Nicht anders war es in Leipzig. Carlos Moreno (Uni Sorbonne, Paris) eroberte mit seinem Referat zum Konzept der 15-Minuten-Stadt, zur Revolution der nahen Erreichbarkeit das Publikum im Nu. Klar, dass in dieser Revolution dem Fahrrad eine Schlüsselrolle zukommt.

Nach den täglichen Plenumssitzungen begann die Qual der Wahl: In sechs Themenkreisen äusserten sich Referent:innen, diskutierten Forumsrunden und Teilnehmer:innen in z.T. zeitgleichen Anlässen. Will ich nun lieber die Präsentation zu „Be the change you want to see“ oder den Vortrag zu „Gender equality: Closing the gap“ usw. hören?

Während dreieinhalb Tagen wurde eine Vielzahl von Aspekten rund ums Rad – um aktive Mobilität überhaupt – erörtert, wurden Handlungsanweisungen gegeben, „tue es“ und „lasse es“ aufgelistet und immer wieder auf konkret Erreichbares, besonders die „low hanging fruits“, hingewiesen. Eindrücklich wurden Beispiele von der Neudefinition des öffentlichen Raums für lebenswerte Städte gegeben. Dass Raum, gerade auch Straßenraum, den Radfahrer:innen, Zu-Fuss-Gehenden, den Anwohner:innen abzutreten ist, war unbestritten. Hier gilt es in Zukunft (weiter) vehement dafür zu kämpfen. Einigen hübschen Beispielen diesbezüglich begegnete ich in Leipzig, etwa einem Straßenspielplatz im Waldstraßenviertel.

Bemerkenswert auch Äußerungen von Politikerinnen und Politikern, die sich für Veränderungen zugunsten lebenswerter Städte einsetzen. Die laute Minderheit torpediert solche Vorhaben mit Regelmäßigkeit. Von der schweigenden Mehrheit ist im Vorfeld der Umsetzung oder während der Realisation wenig zu hören. Kommt es dann nach Einführung z.B. eines Radweges und nach Aufhebung von Parkfeldern zu Umfragen, erfolgt großes Lob. Da wünschten sich Entscheidungsträger:innen früher Unterstützung.
EuroVelo, das Netzwerk von Radrouten durch Europa, feiert dieses Jahr sein 25-jähriges Bestehen. Am Beispiel von EuroVelo 13 (Iron Curtain Trail) mit rund 10.000 km Länge durch 20 Länder zeigte Michael Cramer Idee und Umsetzung auf. Mit dem heutigen Netz von Routen in Europa steht das Projekt einzigartig da und ist ein Aushängeschild der ECF.

An einer Velo-city-Konferenz dürfen weitere Elemente nicht fehlen. Da ist der Fahrradumzug durch die Stadt, durch Leipzigs Straßen, welche umsichtig von den Ordnungskräften gesichert waren. Anschließend fand das Velo-Fest am Augustusplatz statt. Bekanntschaften auffrischen, neue Velo-Citizens kennenlernen: Das geschah spätestens am Donnerstag beim gemeinsamen Essen in den Gewölben der Moritzbastei. Tanzfreudige kamen dabei ebenso wenig zu kurz.

PopUp-Fahrradständer
Bewachte Abstellanlage für das gute Stück

Bleiben noch die Aussteller zu erwähnen, die Dienstleistungen (etwa Mietsysteme), Hardware (Fahrradzählung usw.) oder Touristik im Programm hatten. Der HPV Deutschland stellte ebenfalls aus: Ein Abriss zur Entwicklung des Liegerads, zu den Pionierleistungen von Paul Rinkowski und ein Velomobil als Blickfang. Im Übrigen waren Spezialräder, Liegeräder oder Velomobile wenig sichtbar am Kongress. Zu exotisch scheint diese Art der Fortbewegung sogar an einer Velo-city zu sein.

Salzburger Fahrradbügel
Abstellanlagen Marke Austria (Salzburger Bögel)

Es bot sich an, den Aufenthalt in Leipzig etwas zu verlängern. Bei schönstem Wetter genossen wir einen Radausflug ins Neuseenland, wo ehemalige Braunkohlegruben geflutet wurden und zahlreiche Gewässer in neuen Erholungsgebieten entstanden oder noch am Entstehen sind.
Zusammengefasst: Velo-city Leipzig bot eine Vielfalt von Eindrücken, Ideen und motivierte, aktive Mobilität zu fördern und zu leben. Aber auch das Pflegen von Freundschaften, Schliessen von Bekanntschaften und das Netzwerken kamen nicht zu kurz. Wer immer Gelegenheit hat, sollte sich die Velo-city 2024 in Gent (Belgien) nicht entgehen lassen.

Gewinner Smart Pedal Pitch

Der Smart Pedal Pitch ist eine jährliche internationale Ausschreibung für die innovativsten und marktreifsten Fahrradtechnologielösungen, um die Zukunft des Radfahrens in Städten zu gestalten. Der Smart Pedal Pitch ist ein einzigartiger Innovationswettbewerb für Start-Ups und KMU, der dazu beitragen soll, bessere Städte, Fahrrad-Ökosysteme und Fahrradtechnologien zu schaffen.

Die Velo-City und ihr Anliegen 2023

Text: Heike Bunte

Jede Velo-city hat ein spezifisches Motto, welches von der Stadt, die sie austrägt, im Vorwege mit dem ECF (European Cyclists‘ Federation) beratend abgestimmt wird. Dies war nicht immer so, wenn man bedenkt, dass 1980 die erste Velo-city in Bremen stattfand. Während dieser Zeit war sicherlich wichtig das Thema „Radverkehr“ überhaupt auf die (stadtpolitische) Entwicklungsagenda zu setzen. Gleichwohl bestimmen nunmehr diese Mottos auch die gesamte Struktur der Konferenz.

Die Stadt Leipzig hat sich auf das Motto: „Transition“ (dt. „Wechsel/Übergang/Überleitung“) geeinigt. Möglicherweise in Zeiten des vieldiskutierten „Mobilitätswandels“ ein guter Treffer. Möglicherweise aber auch ein viel zu schwaches Statement, angesichts der Tatsache, dass die derzeitigen Anstrengungen nicht ausreichen, um Rad-und Fußverkehr so zu stärken, Velo-city 2023 in Leipzig dass die Mobilitätswende wirklich gelingt. Gleichwohl sei bemerkt, dass der Name „Velo-city“ zwar Programm ist, aber natürlich auch zunehmend der ländliche Raum eine verstärkte Beachtung erfährt.

Rund 1.400 Teilnehmende haben das Leipziger Motto aber wohl anziehend gefunden, denn es wurde lebhaft in den unterschiedlichsten Foren diskutiert. Jede Velo-city verfügt über 6 Oberthemen. Diese sind bspw. „Öffentlicher Raum und seine zukünftige Nutzung“, „Stärkung des (Radfahr-)Netzwerks“; „Mobilität neu denken und sie für die Zukunft aufstellen“, sowie „Klimaneutrale Städte“ und natürlich die bekannten, aber sehr interessanten akademischen Foren. Unter diesen Oberthemen finden sich verschiedenste Workshop-Formate, in denen die Themen vorgestellt und diskutiert werden. Spannend ist immer der Blick ins Ausland und was hier die jeweiligen Fachkolleg:innen machen, damit Radverkehr sich stärker durchsetzt.

Die Session „Learning from each other“ (dt. „voneinander lernen“) hatte als Schwerpunktfrage, ob sich eine spezifische Kultur und ein Fahrradprogramm, das in einer Kommune erfolgreich ist, auf andere Regionen erfolgreich übertragen lässt oder aber auf Grund kultureller Eigenarten scheitert? Im Falle des Liegerads bzw. der Liegeradvereine wäre das bspw., warum die HPV-Vereine sich derzeit eher „abschotten“ und wenig bis gar nicht auf Integrationsleistung mit anderen Radfahrverbänden setzen?

Ein weiteres Forum trug den Titel: „How cargo bikes drive change“ (dt. „wie Lastenräder Veränderung erzeugen“). Denn es ist wahrlich kein Geheimnis mehr, dass das Lastenrad mehr denn je zu den modernen Lebensstilen (in der Stadt) gehört. Nicht ohne Grund hat der Leipziger Laden „rad3“ den Sprung gewagt und ist in ein altes Straßenbahndepot gezogen (siehe Fotos). Gleichzeitig braucht es mehr Platz resp. dem motorisierten Individualverkehr (MIV) muss er im Umkehrschluss genommen werden.
Oder?

Gleichzeitig steht die Entwicklung der Stadt-Landbeziehung derzeit auch an einem Scheideweg. Das „Auto“ sichert für bestimmte Menschen und Gruppen die alltägliche Mobilität und verhindert so die sogenannte „Mobilitätsarmut“. Das Thema „Mobilitätsarmut“ und „soziale Exklusion“ haben im Forum „The bike’s potential to fight transport poverty and social exclusion“ seit vielen Jahren einen festen Platz im Rahmen der Velo-city. Denn obwohl auf der einen Seite viele immer mobiler werden, schließt die Automobilität auf der anderen Seite zahlreiche Menschen aus. Der Zugang zu Interaktion und Inklusion ist limitiert; sei es auf Grund finanzieller Rahmenbedingungen oder einfach, weil der öffentliche Raum nicht barrierefrei zugänglich ist.

Fahrradbox für Lastenräder
Fahrradbox für Lastenräder

Parkierlösungen für Lastenräder

Dies bringt uns gleich in ein weiteres Forum, das der niederländische Fietsersbond organisiert hat: ein kompletter Workshop zum Thema „Spezialfahrräder für mobilitätseingeschränkte Personen“. Diese wahre „HPV-Wissensfundgrube“ mit speziellem „Roll-out“, wie spezielle Lösungen die Praktikabilität in (niederländischen) Städten am Ende gut funktionieren kann resp. an die Grenzen stößt. Ein wunderbarer Lernworkshop für Nicht-Experten auf diesem Feld. Möglicherweise auch ein Anlass, dass sich nun mehr HPV-Verbände bemerkbar machen sollten und ihr Wissen in die Gemeinschaft der „Normalradfahrenden“ hineintragen könnten?

Ein „Dauerbrenner“ ist auch immer, wie man die unterschiedlichen umweltfreundlichen Verkehrsmittel miteinander besser verbinden kann. Welche ITS (Intelligent Transport Solution) oder das Konzept „MaaS (Mobility as a Service) können unterstützend wirken, so dass mehr Menschen umsteigen resp. die unterschiedlichen Verkehrsträger kombinieren? Erfolgreiche öffentliche Leihradsysteme (die auch zunehmend um das Lastenrad angereichert werden) sind Rezepte, die wirken. Die Erhöhung der Taktzeiten bei Bussen und Bahnen ist notwendig, um ein Umsteigen zu erreichen. Dies genügt aber nicht. Weitere Push & Pull-Maßnahmen müssen gleichzeitig die MIV-Nutzung erschweren und unattraktiv machen. Die Umgestaltung des öffentlichen Raumes in den kommenden Jahrzehnten ist von hoher Bedeutung.

Apropos „Umgestaltung des öffentlichen Raumes“: Die Velo-city bzw. die austragende Stadt zeigt sich mit den 1.400 Teilnehmenden auch ganz real im urbanen Raum. Die Fahrradparade führte durch die Stadt und vermittelte einen Eindruck, was an welchen Stellen bereits geändert wurde. Im Falle von Leipzig gibt es ganz bestimmt – wie in anderen Städten auch – enorm viel zu tun. In diesem Sinne galt es den Workshop zum Thema: „Inside Germany: From car to Cycling nation“ nicht zu verpassen – der Verkehrsminister tat es……