Cycling the Change
Ein Bericht von Heike Bunte (D) und Ida Sabelis (NL)
Kurz erinnert: Es dauerte bis der HPV dem ECF (European Cyclists‘ Federation) beitrat. Erste Lobbyarbeit erfolgte ab 2003 und ganze zehn Jahre später war es dann soweit: Im Jahr 2013 traten der Future Bike und HPV Deutschland dem ECF bei. Endlich! Und „Endlich“ gab es auch wieder eine Velo-City mit über 1.000 Teilnehmenden vor Ort und nicht im Online-Format. Eine Wohltat! Gastgeberland war Slowenien und hier die wunderschöne Hauptstadt Ljubljana mit ihren rund 300.000 Einwohneden und großzügig angelegten autofreien Innenstadt. „Cycling the Change“ war das Motto der vom 14.-16 Juni stattfindenden Velo-City.
Jenseits der HPV-Rennkultur…
Bekanntlich zielt die Mitgliedschaft im ECF unter anderem darauf ab, unsere Fahrzeugvielfalt unter das „Fachvolk“ zu bringen. Weiterhin leben wir in Europa und tun gut daran dies zu pflegen und entsprechende Arbeit zu unterstützen. Denn mittlerweile ist stärker denn je das Thema „Mobilitätswende“ in Kommunen und Städten angekommen. Dies geht nicht zwingend mit einer beschleunigten Umsetzung Hand in Hand über, aber es wäre vermessen zu sagen, dass nichts passiert! Und hier liegt der europäische Hase im Pfeffer: europäische Beispiele im Sinne von „Change“ ist eine Stärke der Velo-City und diese zu zeigen. Ljubljana hat wahrlich eine krasse 5-jährige Rosskur der Verwandlung hingelegt und eine lebenswerte Innenstadt geschaffen. Unser „Change“ im Sinne der Beantragung der Mitgliedschaft im ECF länger gedauert! Also, es geht mit dem Mobilitätswandel. Es braucht dazu „nur“ mutige Bürgermeister*innen.
Back to the 1980ies oder: wie kriegen wir die Bürgermeister*innen auf das Rad?
Jede Velo-City adressiert die Stadt als zentrales Medium der Verwandlung hin zu mehr Fahrzeugvielfalt. Jede Velo-City adressiert eine spezifische Zielgruppe, wozu Fachplanerinnen, städtische Verwaltungen und vor allem Bürgermeisterinnen gehören. Denn sie sind letztlich das Zünglein an der Waage, die das (HPV-)Ruder herumreißen müssen. So lag es dann am Startarchitekten und „Mobilitätsvisionär“ Jan Gehl mit seiner Keynote an Tag1 den entscheidenden thematischen Akzent zu setzen. Unter dem Motto und Fragestellung, ob NGO’s tatsächlich einen entscheidenden Einfluss ausüben, folgte Jan Gehl – wie gewohnt (!) – dem Ansatz die Stadt als Lebensraum für Menschen zu verstehen und weniger allein technikrelevante Fragen und Fahrzeuge jeglicher Art in das Zentrum der Diskussion zu stellen. Damit erteilte er dann auch sogleich eine Absage an „Highway“-(HPV)-Autobahnen auf Stelzen und in Röhren für unsere Stadtentwicklung.
Fahrradtourismus bleibt nach wie vor ein „Hot Topic“, aber…
Die beständige Diskussion der nachhaltigen Wirkungen, ob und welchem Ausmaß Tourismus zum Fahrraderfolg resp. Mobilitätswandel anhält, darf auch keiner Konferenz fehlen. Und in der Tat: Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen, die den Radtourismus für sich entdecken auch tatsächlich im Alltag auf das Rad umsteigen und es häufiger nutzen! Gleichzeitig ist auch bekannt, dass der Radtourismus Regionen und ihre Entwicklung nachhaltig beeinflussen kann. Schließlich bin ich als Radfahrende auf eine gute Infrastruktur im Sinne von Lebensmittelversorgung, Unterkünfte usw. angewiesen. Kein Wunder, dass dieses ökonomische Potential; gerade für „abgeschiedene“ Regionen als Entwicklungsmuster angezapft wird. Und der Erfolg gibt dem Thema recht: nicht nur Regionen – und hier hunderte von Bett&Bike Betrieben – profitieren. Auch NGO’s, wie der ADFC erwerben mit diesem Thema Heerscharen neuer Mitglieder. Fahrradtourismus boomt! Das bringt auch Probleme mit sich die unter dem Motto: „Wie kann Fahrradtourismus (noch) nachhaltiger werden?“ Der ECF hat in den vergangen Jahren die Euro Velo Routes geschaffen; ein ganzes Netzwerk an (un-)attraktiven Routen, die natürlich nicht nur das Thema „Radtourismus“ bedienen sollen, sondern auch ein effizientes Vorankommen zwischen den Städten für den Alltagsverkehr ermöglichen (sollen). Das kommt dem HPV Gedanken nahe! Die Entwicklung dieser Routen ist eine ganz wesentliche Säule des ECF’s, was der derzeitige ECF Präsident Henk Swarttouw betonte. Zusammenfassend rückt somit das Thema „ „Nachhaltigkeit im Fahrradtourismus“ stärker in künftige Entwicklungsstrategien.
Bike Economics
Jenseits dessen spielen u.a. auch die Themenbereiche, wie “Bike economics“, Innovationen in (Fahrrad-)Infrastruktur, Women in Cycling sowie Klimaentwicklung und „Cool down“ Strategien in Städten ein Rolle in den täglichen Sessions von 9-18 Uhr. Das Thema „Bike Economics“ betrifft nicht nur den Sektor der europäischen (weltweiten) Fahrradindustrie. Fraglich ist, wie die europäische Fahrradindustrie unter Kevin Mayne (CEO-Cycling Industries Europe) tatsächlich den notwendigen (Klima-)Wandel durch Fahrradinnovationen unterstützen wird? Eins ist sicher: Gute Sprüche dafür hat sie schon jetzt! „We need to innovate by collectively doing what we are already doing just even faster. We believe we can reduce our dependence on fossil fuels by 12% with the bicycle. We are ready to change our future, so get on it!“
Nationale Strategien als “Changer”
Nationale Fahrradstrategien als Auslöser der Veränderung haben zahlreiche europäische Länder. Deutschland schaute bisher auch immer mit Neid nach Österreich, denn hier sind auch immer innovative Zusatzthemen, wie „Der Faktor Zeit im Radverkehr“ (2016) bearbeitet worden. Darüber hinaus wurden stärker die Verknüpfungen mit Klimastrategien geschaffen. Gleichwohl erscheinen am „Changer“ Firmament auch ganz stark Länder, wie Belgien, die inzwischen im Durchschnitt pro Jahr mehr Geld investieren als große Länder! Klein, aber sehr fein, wie man an Städten, wie Gent und Antwerpen erkennen kann. Frankreich hat als „Grand Nation“ als leuchtendes Beispiel ihre Megametropole Paris und forciert Tempo 30km/h in der gesamten Stadt sowie den radikalen Umbau von Straßen und Plätzen. Außerorts werden die „Routes verdes“ ausgebaut; auch hier mit Rückenwind der Entwicklung der EURO Velo Routes. Insgesamt ist es gut, dass es nationale „Fahrradprogramme“ gibt! Die Velo-City stellt das Bindeglied des Austausches dar und befördert den nationalen Wettbewerb untereinander stärker denn je! Denn mittlerweile geht es um mehr als die bloße Zuschaustellung der jeweiligen Radverkehrsförderung. Es geht um das Zeigen der nationalen Lebens-und Standortqualitäten, um die wirklich herausfordernden Probleme der Zukunft zu meistern. Alles andere als kleinteilig.
Vision Zero
Nach wie vor ist das drängendste Thema, wie Europa-und weltweit die Vision Zero erfüllt und umgesetzt werden kann. Theoretisch einfach! Tempo runter, Autos und Schwerlastverkehre raus aus Städten! Und außerorts gute Infrastruktur, Vorfahrt für das Rad an kritischen Punkten, wie Knotenpunkte uvm. Aber die Welt tickt leider anders. Und so kommen wir seit Jahrzehnten nicht umhin unsäglich viele Daten und Fakten zu sammeln, auszuwerten und kleinteilig zu versuchen, die Welt wenigstens ein Stück weit für Radfahrende sicherer zu machen. Ob man die Vision Zero Strategien von Helsinki oder Brasilien vorstellt: allen ist nach wie vor gemein, dass „Vision Zero“ zunächst über die Reduzierung der Geschwindigkeit motorisierter Verkehrsteilnehmender erreicht werden kann, um Unfalltod und schwere Verletzungen signifikant zu reduzieren.
Netzwerke
Erfolgreiche (Lobby-)Arbeit hängt auch davon ab, wie kluge Netzwerke gespannt sind. Der ECF hat in den vergangenen Jahren verstanden, dass sein Alleingang wenig zielführend ist. Daher trägt – im Umkehrschluss- auch unser Mitgliedsbeitrag dazu bei diese Systematik zu stärken. Neben dem Aufbau der World Cycling Alliance (WCA) pflegt der ECF u.a. die Kooperation mit dem Netzwerk Polis und Eurocities. Die Sprecherin Karen Vancluysen des Polis Netzwerks betonte die Relevanz der Gender Gerechtigkeit zur Entwicklung der Städte resp. Mobilitätsarmut unter Frauen entgegenzuwirken „I see people-based cities with density and proximity as key. I hope that gender mainstreaming will be normal and we won’t be catering for middle-aged engineers anymore.“ Dies unterstützt das Motto der Konferenz: “Change”.
Velo-city meets Leipzig 2023
Es ist ein nicht ganz einfaches Unterfangen sich als Stadt für die Austragung der Velo-city zu bewerben. Sie verspricht im Nachklapp großes Renommee und gibt Ausschlag für weitere Innovationen beim Umbau der Infrastruktur sowie weicher Maßnahmen, wie „Bike Kitchen“ und Cargo Bike Deliveries. Die Stadt Leipzig war erfolgreich mit ihrer Bewerbung und wird somit Austragungsort in 2023. Eine Möglichkeit auch HPV Themen vor Ort zu präsentieren und im Sinne von „Change“ aktiv zu werden. Sei es um andere Netzwerke kennenzulernen und oder die HPV-Welt als Mehrwert und Beitrag zu Vielfalt zu adressieren. Wie immer ohne Vorbehaltsfrei und Weltoffen!
Am Rande: ECF Awards 2022
Eine Konferenz mit seinen Teilnehmenden feiert sich auch immer selbst! Der ECF verleiht jedes Jahr seine Awards unter verschiedensten Kategoroien. Dieses Jahr gingen sie u.a. an Jobrad and Eco-Counter, der fahrradfreundliche Arbeitgeber R+V Versicherung AG sowie der Stadt Paris, die ihren Radverkehrsanteil innerhalb von zwei Jahren signifikant erhöht hat (u.a. natürlich auch wegen der Pandemie, wie zahlreiche andere Städte auch!). Ausserdem an die Stadt Brüssel, die eine Reduzierung ihrer tödlichen Radfahrunfälle um ca. 50% (2021) erreicht hat.
Wir sehen uns zur Velo-City 2023 in Leipzig!