Text und Fotos von Andreas Hertting
Die HPV-Weltmeisterschaft 2022 fand statt! In Frankreich in Orgelet, einem eher verträumten kleinen Ort in der französischen Jura. Mitten in einem Jahrhundertsommer!
Die voralpine Landschaft des Jura hat ein wenig alpinen und ein wenig mediterranen Charakter und auch ist sie ein Schatz an Dinosaurierfunden. Sie ist ideal für sportliche Aktivitäten und Erholung. Der wichtigste Fluss und auch Grenzfluss des Landstrichs ist die Ain, die der Rhone zufliesst. Bei Bellecin ist sie auf über dreißig Kilometer aufgestaut, und bietet mit ihrem türkisfarbenen Wasser und den bewaldeten Steilhängen einen überwältigend schönen Anblick.
Veranstalter waren die Association Francaise de Velocouché ,AFV, mit dem Vorstand Olivier Cresson und Marc Lesourd, der die Weltmeisterschaft in diesem Ort und zu dieser Zeit nur einmalig und mit großer Unterstützung des gesamten Ortes mit vielen Freiwilligen in Verbindung mit dem Sportzentrum Bellecin. Dort kümmerte man sich um die Gäste, die nicht in ihrem Wohnmobil anrollten. Die Gruppe der Teilnehmer der Future-Biker reisten etwa vierhundert Kilometer weit mit ihren Fahrzeugen an. Ja, das ist der HPV-Gedanke! Hier steht ein alternatives Fahrrad für den Menschen im Mittelpunkt. Nein, nicht der Sportler, der nach göttlicher Kraft strebt, sondern der Mensch wie er ist. Keine umsorgten Sportler, die wie Helden gefeiert werden, keine Profi-Business und kein Doping. Stattdessen ein Betreuer, der seinen Schützling auf einem Handbike mit seinem Pedelec begleitet. Der Teilnehmer müsste Francois Meroth gewesen sein.
Die Fahrzeuge sind locker reglementiert in unverkleidet, teil- und ganz verkleidet. Da die Teilnehmer ihre Vorliebe zu einem frei gestalteten Fahrrad bekunden, thront dieser Aspekt klar über der Veranstaltung, und ist eine Bekundung der Freiheit und zur Inklusion aller, die teilnehmen wollen. In sportlicher wie organisatorischer Hinsicht mag sich hier eine Gratwanderung ergeben, wenn man bedingungslose Teilnahme will. So kann man langsame Teilnehmer wie die Handbiker mitfahren lassen, die zusätzlich als eine eigene Wertungsgattung geführt werden.
Die Freude am Sport blieb also ungetrübt von Marketing und Medienteilnahme. Für den Besucher war es aber schwierig der Veranstaltung folgen zu können. Es ist nun mal keine Fussball-Arena, bei der jeder Sitzplatz den Blick auf das Geschehen ermöglicht. Wer fährt welches Fahrzeug, welche Sporthistorie hat der oder die Teilnehmer(In) oder wo erhält man Zugang zu den Ergebnissen oder aktuellen Zwischenständen, was die Sache spannend macht.
Es begann mit einem kleinen Bergsprint mit zwei gewerteten Durchläufen hintereinander, der am Sportzentrum Bellecin am See Vouglans oder Lac de Vouglans zum 122m höheren und 2650m entfernten Lac d’Onoz, also im Schnitt 4,6% Steigung. Es sei gesagt, dass Bergrennen die Spreu vom Weizen trennen, wenn es darum geht den stärksten Fahrer auszumachen, da hier Leistung wichtiger ist als Aerodynamik. Zugleich sind schwere Fahrzeuge und Fahrer im Nachteil, womit auch schnell erklärt ist, warum die Velomobile hier abgehängt waren, die unter den 20% der Schnellsten nach dem Pareto-Prinzip nur mit drei Teilnehmern vertreten waren.
Alain Hinzen siegte mit 25,4Km/h Schnitt. Lord Hostis zeigt in einem hervorragendem Video seines YT-Kanals und seinem Strava-Eintrag mit 366W getretener Leistung was nötig ist, um Platz vier zu erreichen. – Vielen Dank an ihn!
Der Samstag war für die Sprintrennen reserviert. Es wurden 200 Meter und ein fliegender Kilometer zwischen Moutonne und Orgelet gefahren, die 1,5% Gefälle hat und geradlinig auf einer Asphaltstraße verläuft. Hier spielt jetzt die aerodynamische Effizienz die Hauptrolle, und damit wird klar, welches Fahrzeug das Beste ist. Hier schlägt die Stunde der Velomobile und für Daniel Fenn, der mit 75,6 km/h auf die 200m mit fliegendem Start klar die Marke setzte. Auf den fliegenden Kilometer führte er ebenfalls. Nach der Kilometerwertung gemessen, waren die ersten dreißig Teilnehmer schneller als der Strava-Rekordinhaber Jan Barthet, einem Cyclo-Cross Lokalmatador in der Region, mit seinen über 500W Muskelkraft. Gnädiger weise trug sich keiner unserer Teilnehmer in diese Liste ein, so dass hier kein störendes Aerodynamikwunder die Eitelkeiten verletzt. Dieser Vergleich aber erhöht die sportliche Leistung der WM-Teilnehmer, so dass ich hier diesen Maßstab erwähne. Meine Pareto-Methode sagt hier dass die Velomobile mit zwei Dritteln ganz klar im Vorteil sind. An diesem Tag war auch für das Auge des Besuchers besonders am Start viel Fahrzeugschau geboten, da eben auch einzeln gefahren wurde.
Für den dritten und letzten Tag der Veranstaltung stand die 100km-Herausforderung an. Was wegen der Topographie und der Hitze die Teilnehmer offenbar sehr beanspruchte, denn die Durchschnittsgeschwindigkeit des Siegers lag bei nur 37,0 km/h. Es war Bruno Cendrez mit seinem weißen Milan SL, der hier die Chance nutzte den Titel zu holen. Aber dicht gefolgt von Marvin Tunnat auf seinem unverkleideten High-Riser. Tatsächlich aber waren die Velomobile hier doch nicht im Vorteil, was klar anzeigt, dass die Strecke bergig und mit engen Kehren versehen war und einige Stellen hatte, die eine gute Fahrzeugbeherrschung und kraftvolle Beschleunigung erforderten. Auch die doppelte Kraft der Tandemfahrer half hier nicht vorne zu fahren.
Doch dann ein Zwischenfall: Mario Eupani fuhr am Ende einer Bergabpassage in einer Kehre in die Strohballen, die zur Sicherheit aufgebaut wurden. Er fuhr mit seinem Vater Giovanni Eupani, der sein Rennen abbrach, ins Krankenhaus. Es mussten nur Schürfwunden behandelt werden, da die Hülle seines Velomobils und das Stroh den Aufprall gut abgefangen hatten. Gehen wir nochmal zu Marvin Tunnat, der auf einem M5 Highriser die WM souverän meisterte: Platz 2 beim Bergrennen, zweitschnellster Unverkleideter beim 200m und Schnellster hinter den Velomobilen beim 1km und Zweiter beim 100km Kriterium, bei dem übrigens nur 17 Teilnehmer die volle Rundenzahl absolvierte. Wäre er mit einem Velomobil schneller gewesen? Dann wäre der Softwareingenieur aus Hamburg auch noch Weltmeister geworden! Im oberen Pareto-Fünftel waren nur fünf Velomobile gegen zwölf unverkleidete Liegeräder, was auch heißen mag, dass es für Tunnat nicht besser ausgegangen wäre, wenn er auf ein Velomobil gesetzt hätte. Das zeigt dann aber die starke Leistung von Bruno Cendrez. Dagegen hatte Daniel Fenn keinen guten Tag. Das ganze Feld musste am Start eine Viertelstunde auf sein verspätetes Erscheinen warten. Er lag mit seinem A9 sogar hinter Werner Klomp aus Österreich in seinem nagelneuen M9, der aber wohl noch wegen der Kette etwas Zeit verlor. Letztere Velomobile überraschen mit ihrer großzügigen Breite und markieren ohnehin den neuesten Entwicklungsstand mit der Ausrichtung auf Touren. In diese Kategorie gehört auch das Siegerfahrzeug von Bruno Cendrez. Gar keine echten Rennfahrzeuge! Und dennoch WM-Teilnahme!
Zufällig und zumindest äußerlich fast baugleich fahre ich im Alltag mit so einem Siegerfahrzeug. Mein persönlicher Sieg liegt aber in den ersparten Emissionen, egal ob Schall, Abgas oder Gummiabrieb. Beim CO2 ist es ein Sieg für alle auf diesem Planeten.
Die WM in Zahlen: 116 Gesamtteilnehmer, 113 Fahrzeuge, 26 Vollverkleidete, 41 unverkleidete Einspurer, 11 Teilverkleidete, 29 Trikes, drei Handbikes und zwei Tandems, jeweils in ihren Kategorien.
Links: offizielle WM-Seite des AFV, Videos von Lord Hostis, Orgelet, Natacha Walther alias Chacha Cha (aber das Snoek von Helmut Voirin) und ein AZUB Werbefilm mit guten Aufnahmen.
Die Resultate und weitere Bilder bei AFVeloCouché, Droplimits und im Velomobilforum.