Neuer Deutscher Liegerad Rekord 127 km/h

Battle Mountain, Nevada, USA ein kleines vierköpfiges Team aus Deutschland und den Niederlanden hatte sich mit einem vollverkleideten Liegerad auf den Weg gemacht, um in den USA bei der Human Powered Speed Challenge auf Rekordjagt zu gehen.

Text, Fotos: Matthias König

Die beiden Liegeradsportler des VfB Fabbenstedt Matthias König und Ralf Golanowsky bildeten das Team zusammen mit Hans und Ellen van Vugt rund um das Liegerad «Velox XS». Die beiden Niederländer waren schon 17 Mal in der Wüste von Nevada. Ein echter Vorteil für die beiden vom VfB Fabbenstedt. Das Rad ist ein spezielles Rekordrad, dass nicht mehr auf öffentlichen Straßen bewegt werden kann. Es benötigt beim Start und beim Anhalten Hilfe und die Straßenübersicht ist sehr eingeschränkt. Ellen van Vugt ist mit diesem Rad schon einige Mal in Battle Mountain an den Start gegangen und konnte auch einen 6h Weltrekord aufstellen.

Das Team will in den nächsten Jahren den aktuellen Weltrekord von 144,16 km/h brechen. Für dieses Jahr stand aber Erfahrungsbildung im Vordergrund. Ob vielleicht doch ein Europarekord machbar ist? Wer das Team kennt weiß – Die wollen es wissen!

Das Rad wurde in seinem Grundaufbau von Hans van Vugt mit der TU Delft entwickelt. Es unterscheidet sich durch seinen recht einfachen Aufbau und einer Sichtscheibe von neueren Konstruktionen. Diese verfügen über ein Kamerasystem und haben damit einen noch stärker begrenzten Einsatzbereich. Das Team setzt auf einfach beherrschbarere Technik. Ein Neuer Deutscher Liegerad Rekord 127 km/h echter Vorteil – andere Teams benötigen bis zu 19 Personen.

Das kleine Team begann bereits im letzten Herbst mit den Vorbereitungen. In den Niederlanden wurde das Rad gemeinsam überarbeitet. Es wurde so angepasst, dass beide Fahrer im Wechsel damit fahren können. Die unterschiedlichen Sitze sind nun schnell und einfach wechselbar. Erste Testfahrten begannen auf Radrennbahnen und außen. Fahrten im öffentlichen Verkehr sind nicht machbar. Die Strecken brauchen möglichst große Kurvenradien (+200 Meter). Eigentlich kann solch ein Rad fast nur geradeaus fahren.

Erst ab 50 km/h entsteht eine gute Fahrstabilität. So mussten für ernsthafte Testfahrten Strecken gefunden werden. Auf dem OTC (Opel Testcenter) in Dudenhofen und dem ATC (Auto Test Centrum) der RWTH in Aachen, testete das Team. Leider machte immer wieder das Wetter dem Team einen Strich durch die Rechnung. So konnten nur Tests bis um die 7o km/h erfolgen. Das Starten und Anhalten funktionierte reibungslos, aber was bei den geplanten über 120 km/h passieren würde blieb bis zum Flug in die USA unklar.

So ging es für das Team mit gutem Mut aber dennoch leicht mulmigem Gefühl in die USA. Erste Station war in der Nähe von San Francisco. Beim aktuellen Weltrekordhalter Todd Reichert erfolgte die erste Akklimatisierung. In langen Gesprächen gab es reichlich Erfahrungsaustausch. Die Überraschung: Der letzte Weltrekord brauchte vier Jahre Vorbereitung, teilweise in Vollzeit. Ist das Team mit geplanten 2-3 Jahren zu optimistisch?

Über zwei Tage ging es weiter auf die Reise, mit Höhen von bis zu über 3.000 Metern, nach Nevada. So konnte sich das Team besser auf die Zielhöhe von 1.500 Metern in Battle Mountain vorbereiten. Dort gab es dann einen kleinen Dämpfer. Das Rad reiste in einer stabilen Transporttasche mit. Leider verhinderte diese nicht eine Transportbeschädigung im Flieger. So stand erst einmal eine Reparatur mit Glasfaser, Harz und Spachtel an. Für den erfahrenen Teamleiter Hans kein Problem. Schnell war das kleine Malheur behoben. Ok, das Rad hat eine neue Narbe – nicht die letzte!

Die Strecke in Battle Mountain ist eine 8 km lange perfekte Gerade auf 1500 m ü.NN an dessen Ende sich die 200 m lange Messstrecke befindet. Im Anschluss haben die Fahrer 1.000 m um das Gefährt wieder auf null runter zu bremsen. Aufgrund des speziellen Klimas in der Wüste (9% Luftfeuchte, +30 Grad) sind in den frühen Morgenstunden und bei Sonnenuntergang die besten Wetterverhältnisse, um mit den Rädern über den Asphalt zu jagen. Denn nur dann ist der Wind oftmals gering genug, um sicher fahren zu können. Teams aus der ganzen Welt haben in dem letzten Jahrzehnt versucht neue Rekorde mit den mit reiner Muskelkraft betriebenen Rädern aufzustellen. Der Wettkampf erstreckt sich dabei über eine Woche und man hat mehrere Versuche seine Bestleistung zu erzielen. Die besondere Herausforderung besteht darin, dass neben dem Fahrer und dem Fahrzeug auch das Wetter einen entscheidenden Einfluss auf die Geschwindigkeit hat. So können Unterschiede in der Windgeschwindigkeit, Luftdruck oder Temperatur zu ein paar Stundenkilometer Unterschied in der Endgeschwindigkeit führen.

Ellen und Matthias sind beide mit der Ambition einen Rekord zu brechen zur Speed Challenge angereist. Der Weltrekord der Frauen liegt bei 122 km/h. Der angepeilte europäische Rekord der Männer schon bei 134,8 km/h. Beides sehr ambitionierte Ziele. Die Wetterbedingungen zu Beginn der Woche waren deutlich besser angesagt als zum Ende der Woche.

Ellen & Hans van Vugt sowie Matthias König bei der Analyse
Ellen & Hans van Vugt sowie Matthias König bei der Analyse

Nach dem ersten Qualifikationslauf über 4 km starteten beide motiviert in ihren ersten 8 km Lauf. Ellen, die das Rad in und auswendig kennt, konnte direkt mit 110 km/h einen guten Lauf hinlegen. Für Matthias lief der erste Lauf weniger erfolgreich. Nachdem er das Rad nach etwas über der Hälfte der Strecke bereits auf 112 km/h beschleunigt hatte, platzte der Vorderreifen und er schlitterte ungebremst über den Asphalt und anschließend in den Wüstenstaub. Für Hans, Ralf und offiziellen Beobachter im Begleitfahrzeug ein schrecklicher Moment. Zu sehen wie der Teamfahrer abfliegt! Ist er verletzt? Schnelle Entwarnung. Dank der sehr stabilen Carbon Konstruktion ist ihm nicht passiert. Der Liegeradsportler vom VfB Fabbenstedt hat noch nicht mal einen Kratzer abbekommen.

018 25 Matthias König und Ellen van Vugt präsentieren sich Reifenschaden am Vorderrad
Reifenschaden am Vorderrad führte zum Sturz
Schaden am VeloXS durch den Sturz
Schaden am VeloXS durch den Sturz

Das Rad hatte dagegen neue Narben. Nachdem der erste Schock überstanden war, wurde direkt die Außenhülle wieder verspachtelt und glattgeschliffen, um beim nächsten Lauf wieder Vollgas geben zu können. Ellen konnte dies auch perfekt umsetzen und fuhr mit 113,7 km/h ihre beste Geschwindigkeit und fast persönliche Bestleistung. Matthias hatte etwas mehr mit den Wetterverhältnissen zu kämpfen und traute sich bei starkem Seitenwind nicht in die Pedale zu treten. Jedoch stieg mit jeder Fahrt in dem Geschoss das Vertrauen in das Rad und er konnte sich so von Lauf zu Lauf sukzessive steigern. Seine persönliche Bestleistung lag nach der Woche bei 127 km/h – neuer deutscher Rekord!

Das Hauptziel – Erfahrung sammeln hat das Team geschafft. Ein neuer Rekord ist immerhin auch entstanden. Das Potential die nächsten Ziele im nächsten erreichen zu können, haben beide gezeigt. Dazu wird ein neues Rad aufgebaut, welches durch den Einsatz eines Kamerasystems eine verbesserte Aerodynamik und durch größere Laufräder einen besseren Rollwiderstand besitzen wird. Daneben gilt es auch die persönliche Fitness speziell für diesen Event an das Limit zu bringen. Die extreme Höhe und niedrige Luftfeuchtigkeit verlangen nach spezieller Vorbereitung. Wenn dann nächstes Jahr die Wetterverhältnisse mitspielen, kann die Rekordjagt erfolgreich weitergehen.

Mehr auf www.humanpowerteam.com u.a. auch das Video vom Unfall!