Ein Reisebericht von Markus Wilms von 1998.
Der Wunsch, mal nach Neuseeland zu reisen, entstand schon vor etwa sechs Jahren. Besonders gereizt hatte mich die vielfältige Landschaft und der Vulkanismus. Durch mein Studium der Schiffstechnik lernte ich erst den Umgang mit Glas- und später dann auch mit Kohlefaser kennen. Aus diesem Material entstehen auch meine Liegeräder.
Im schmuddeligen Winterwetter Ende 1997 wurde der Wunsch einer Neuseelandreise dann stark genug, daß ich mir eine Landkarte kaufte und mit der Realisierung begann. Parallel dazu entstanden die Pläne für ein neues Liegerad, welches jedoch ursprünglich nicht für diese Reise konstruiert wurde.
Im Herbst wurde aus dem eigentlich für Wettbewerbe konstruierten Liegerad allmählich ein Tourenliegerad. Die Unterbringung des Gepäcks blieb lange Zeit offen und letztendlich erhielt ein Anhänger den Zuschlag. Mit diesem knapp 3.5m langen Gespann ging es dann Mitte Dezember via Los Angeles und Honolulu nach Auckland.
Auf der ersten Etappe zeigte Neuseeland gleich, was es zu bieten hat: Angefangen von der scheinbar unbegrenzten Hilfsbereitschaft der Kiwis, über eine stattliche Anzahl von Hügeln mit guten Straßen, gesäumt von Palmen und Stränden, bis hin zu Sandflies, jener lästigen und vor allem beißwütigen Mischung aus Gewitterfliege und Mücke.
Schon am zweiten Tag gab es einen jener Momente, die erst im nachhinein zur schönen Erinnerung werden: Ohne große Vorwarnung versagte das Schaltungskettchen der 3×7 seinen Dienst und es ließen sich nur noch die letzten 7 Gänge schalten. Glücklicherweise ließ sich der Schaden mit viel Kreativität nach vollständiger Demontage der Naben in erbarmungsloser Mittagssonne wieder beheben.
Nach ein paar Tagen entlang der Küste, die sich neben schönen Sandstränden und dichter Vegetation vor allem auch durch ihre Hügel auszeichnete, ging es dann ins Hochland. Erster Höhepunkt bildete das vulkanisch noch aktive Gebiet um Rotorua. Dort dampft und blubbert es aus zahlreichen Schlammlöchern und Erdspalten. Je nach Wind liegen Teile davon unter einem nach schwefelhaltigem Nebel verborgen. All das wieder eingerahmt von der einzigartigen Vegetation. Von weitem wirken die Laubbäume bekannt, bei näherer Betrachtung wirken sie dann doch fremd, was durch die vielen Farnpalmen noch verstärkt wird. Das zentrale Hochland der Nordinsel ist vor allem durch den Mount Ruapehu geprägt. Schon von weitem recken sich seine knapp 2300m hohen Gesteinsmassen majestätisch in die Höhe. Kurz vor dem Tongariro Nationalpark ist der Vulkan dann ununterbrochen im Blickfeld. Dort steigt die schnurgerade Straße auf 7km nochmals 600m höher und verlangt dem Radfahrer in der ausdauernden Sonne einiges ab.
Erschöpft und nach einer kühlen Dusche sehnend wurde das Ende dieser Etappe von einem schönen Ereignis gekrönt. Das Rad stand kaum am Straßenrand, da lugte ein kleiner Junge, vielleicht 3Jahre alt um einen Busch herum, hinter dem seine Eltern auf einer Bank saßen und rief so laut er konnte „I like your bike“ und verschwand wieder hinter dem Busch. Nachdem er ein zweites Mal seiner Meinung über mein Gefährt Ausdruck verliehen hatte, kam er mit seiner Mutter dann doch hinter dem Busch hervor und sie erzählte mir, daß sie unbedingt ein Foto machen müsse, sonst würde der Kleine keine Ruhe mehr geben. Schon alleine dafür hatte sich die anstrengende Fahrt gelohnt. Tags darauf ging es in morgendlicher Kühle an die 150km entfernte Küste. Auch wenn es eigentlich beständig bergab gehen sollte, kamen am Ende des Tages über 1300 erklommene Höhenmeter zusammen.
Mein schönstes Weihnachtsgeschenk, es war schließlich Heiligabend, bekam ich schon kurz vor der Hälfte dieser Etappe. In einem kleinen Ort, dem ich niemals einen Fahrradladen zugetraut hätte, fand ich einen solchen. Dort erstand ich Ersatz für den arg abgefahrenen 16 Zoll Reifen des Anhängers und wurde zu einer Tasse Kaffee in die Werkstatt eingeladen, wo ich dann wieder unzählige Fragen zu dem Liegerad beantworten durfte bzw. mußte.
Die Westküste war nicht mehr ganz so interessant und so war ich froh kurz nach Weihnachten mit einer kleinen, aber schnellen Katamaranfähre zur Südinsel zu gelangen. Nach einem kurzen Abstecher zum Abel Tasman Nationalpark ging es gemeinsam mit einem Radfahrer aus Karlsruhe Richtung Westküste und dann entlang der Küste nach Süden. Entgegen allen Vermutungen war die eigentlich sehr verregnete Westküste trocken und sonnig. Obwohl es unzählige Outdoormöglichkeiten, wie wandern oder kajaken gab, war der Wunsch das Wetter zu nutzen größer. Abgesehen davon fühlte ich mich bei der nur durch etwas Hochnebel gebremsten Sonne auf dem Rad auch am wohlsten.
So ging es in langen Etappen weiter gen Süden, vorbei an wunderschönen Sandstränden und den majestätisch imposanten Eismassen zweier Gletscher.
Schon ganz am Anfang der Reise zeigte sich, daß es diesmal keine einsame und stille Reise werden würde, sondern ich jeden Tag viele neugierige Fragen interessierter Neuseeländer beantworten mußte. Sie sprachen mich am Supermarkt an, auf Rastplätzen oder am Straßenrand. Sie winkten mir aus ihren Autos zu, fotografierten mich vom Straßenrand versteckt hinter der Autotür, fahrend aus dem Seitenfenster oder sogar aus dem Schiebedach. An all das hatte ich mich bald gewöhnt. Auch daran, daß ich manch einen Zeltplatz morgens nicht verlassen „durfte“, bevor ich nicht für ein Foto auf dem Rad Platz genommen und wieder viele Fragen beantwortet hatte.
Doch als mich ein Reporter einer regionalen Zeitung anhielt und ich mein Bild tags darauf in der Zeitung wiederfand war es doch eine Überraschung und ein schönes Souvenir. Nach 5 Wochen und 3200 km auf dem Rad erreichte ich Christchurch, von wo es via Auckland, Los Angeles und London zurück ins winterlich kalte Frankfurt ging.
Dort passierte nach 36 Tagen Reisezeit dann das, wovor ich immer am meisten Angst habe: Das Gepäck war nicht mitgekommen. Da wird einem dann erst klar, wie sehr man doch an seinem Rad hängt, vor allem an einem Eigenbau der sich gerade erst auf einer langen Reise bewährt hat. Zwei Tage dauerte dieser Nervenkrieg, dann brachte mir ein Kurier mein Liegerad mitsamt Gepäck zurück, und so nahm die Reise mit etwas Verspätung doch noch ein glückliches Ende.