Mit dem Racer auf Korsika

2000 war ich von Mitte August bis Anfang November beruflich auf der großen Mittelmeerinsel tätig und hatte sowohl mein Birdy als auch meinen Tieflieger dabei. Ich kann also nicht von einer echten Korsika-Radreise berichten. Aber ich hatte durch mehrere Halb- oder Ganztagestouren im nördlichen Bereich der Insel Gelegenheit, einen Eindruck der dortigen Verhältnisse zu bekommen. Angereist war ich wegen Job mit meinem Lieferwagen – von Köln oder München aus dauert die Anreise mit Zug und Fähre bei Fahrradmitnahme zwischen 18 und 23 Stunden. Untergebracht nahe der nordwestlichen Hafenstadt Calvi erstreckte sich mein Fahrrad-Aktionsradius von der weiter östlich liegenden ebenfalls Hafenstadt Ile Rousse bis nach Porto, der berühmten Hafenstadt, die an der nördlichen Westküste von Korsika in die dortige Steilküste eingebettet liegt. Die Straßen auf der Insel lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen : Es gibt zum einen die wenigen großen Hauptverkehrsstraßen, die sich im Norden, Westen und Süden hauptsächlich an der Küstenlinien orientieren und dabei die vielen Hafenstädte verbinden und zum anderen die Nebenstraßen, die hinein ins Inland zu den meist sehr viel kleineren und oft hoch gelegenen Dörfern führen.

die Straße nach Porto
Die Straße nach Porto

Alle mir untergekommenen und auch auf den Karten (1:25.000 bis 1:150.000, gibt’s dort im Supermarkt zu kaufen) eingezeichneten Straßen waren ausreichend und bis zum Rand geteert und auch bei Nässe mit schmalen Reifen gut zu befahren. Die Bezeichnung „Hauptverkehrsstraßen“ ist dabei aber nicht immer gleichbedeutend mit besonders breit, oder sonderlich glatt. Grade die sehr schöne Küstenstraße zwischen Calvi und Galeria , die sich eng und kurvig in die Steilküste geschmiegt mit wunderbaren Ausblicken bis nach Porto schlängelt, besteht streckenweise nur aus Asphaltflicken. Dafür entschädigt das grandiose Panorama. Die Randsicherungen bestehen , wenn überhaupt vorhanden, oft nur aus einzelnen Felsbrocken oder recht niedrigen Steinmauern. Über die kann man selbst von einem 25cm-Tieflieger, wie dem meinen, noch einigermaßen drüber schauen.

Tieflieger vor der Bucht von Calvi
Die Bucht von Calvi

Allgemein erfordern die kleineren Straßen auf Korsika eine erhöhte Konzentration in jeder Hinsicht – Die Oberflächenbeläge wechseln schnell und oft. Bei den vielen Abfahrten erreicht man spielend so hohe Geschwindigkeiten, dass Kurven zum Problem werden können. In den Serpentinen lagert der manchmal kräftige Wind im Schutz der niedrigen Randmauern gerne eine feine Sandschicht auf der sonst griffigen Straße ab. Und auch mit Steinen o.ä. auf der Fahrbahn muss man immer rechnen. So wurde auch eine meiner Ausfahrten unsanft beendet – ein auf der abschüssigen Straße klebender Betonbatzen (wohl voneinem Baufahrzeug verloren, im Licht und Schattenwechsel fast unsichtbar) zerriß mir bei etwa 50 Km/h die Flanke meines vorderen City Jets. Nach reichlich Abschliff an Racer, Radlerhose und Ellenbogen kam ich dann doch zum Stehen (Liegen). Ich will mir gar nicht ausmalen, wie dieser Sturz mit einen normalen Rennrad ausgegangen wäre…

Begegnungen der besonderen Art kann man mit Vieh, bevorzugt Schafherden oder frei laufenden Kühen erleben. Wer schon mal auf einer einsamen engen Bergstraße auf einem Tieflieger an einem ausgewachsenen, ob des ungewohnten Gefährtes, irritierten Rindvieh vorbei musste, wird wissen, was ich meine!! Meine Begegnungen mit aufgebrachten Dorfhunden hatte ich glücklicherweise immer auf Bergabstrecken, so dass keiner nur annähernd die Chance hatte, mir hinterher zu kommen. Aber dieses Problem existiert ja nicht nur auf Korsika…

Die Einheimischen sind da deutlich zurückhaltender. Im August, der noch zur Hauptsaison zählt, werden die Küstenregionen der Insel vom Tourismus beherrscht. Nach „echten“ Korsen muss man da schon fast suchen. Viele Ansässige dort sind „Zugereiste“ aus ganz Europa, die sich auf der Insel niedergelassen haben und die meisten leben auch vom Tourismus…

Durch das kleine Dorf Lumio in der Steilküste, unter der wir direkt am Meer wohnten, führte meine „Trainingsstrecke“, die ich dann fuhr, wenn ich für längere Touren keine Zeit hatte. Dort fiel mir ein älteres korsisches Ehepaar auf. Die beiden saßen von morgens bis abends vor ihrem kleinen Häuschen, direkt an der einzigen Durchgangsstraße und sahen den vorbeilärmenden Automassen der Touristen zu. Das Häuschen steht mit der Rückseite am Rand der Steilküste und hat dort eine Terrasse mit einen grandiosen Panoramablick auf das Meer und die Bucht von Calvi! Ein großstadtgeschädigter Berliner wie ich wird wohl nie verstehen, warum sie sich freiwillig den Gestank und Lärm des Staßenverkehrs antun… Allerdings hätte ich sie an der Rückseite ihres Hauses nicht jedesmal grüßen können, wenn ich vorbei kam… Abgeklärte und das gemächliche Lebenstempo der Insel gewohnte Korsen, wie diese beiden älteren Herrschaften, werden vielleicht auch nie verstehen, warum jemand wie ich mit einen so eigenartigen Gefährt immer wieder die 200 Höhenmetervon der Küste zu ihnen hinauf ackert, um einige Zeit später wieder an ihnen vorbei hinunter zu sausen…

Die Autofahrer sind allgemein recht rücksichtsvoll gegenüber den zahlreichen Radfahrern, trotzdem nerven die Autos wieüblich auf den Hauptverkehrsstraßen und es gibt leider kaum Ausweichrouten. Mit Ende der Haupsaison stellte sich eine wohltuende Ruhe auf der Insel ein. Der Autoverkehr reduzierte sich fast über Nacht auf schätzungsweise 1/4!

Das Wetter blieb zunächst noch sehr angenehm. Die Temperaturen, im August mit oft weit über 30°C sogar für meinen Geschmack etwas zu warm, waren im September bis Anfang Oktober ideal zum Radeln: 20 bis 25°C, manchmal mehr, dazu viel Sonne, nur einzelne Gewitter. Mit dem Herbst beginnt für die Vegetation auf Korsika ein „zweiter Frühling“! Die durch die Sommerhitze und -Trockenheit ausgedörrte Landschaft wird zusehends grün, die Bachläufe füllen sich wieder, die vorher oft staubige Hitze weicht einer sanften Wärme. Erst ab Mitte Oktober gab es öfter mal Regen, bis Anfang November sanken die Tagestemperaturen dann auf etwa 15°C ab…so soll es dann angeblich auch den ganzen Winter über bleiben…

Die wenigen Straßen in Küstennähe können zwar kurzzeitig ordentliche Steigungen aufweisen, besonders, wenn sie in die Steilküste getrieben wurden. Von den wirklich extremen Anstiegen der kleinen Inlands- und Passstraßen bleibt man dort aber weitgehend verschont. So eignen sich mit ordentlicher Schaltung die Küstenstrecken durchaus für Fahrten mit vollem Gepäck. Die Pässe bleiben eine Herausforderung! Mein Racer war mit zwei Kettenblättern vorn (58 und 42 Zähne) und 9fach-Kassette (11-32 Zähne) auf dem 26 Zoll-Hinterrad bei wenig Gepäck, aber mehreren Wasserflaschen(!) für die Küstenstraßen angemessen bestückt. Mit dem großen Blatt konnte ich bergab bei 70 Km/h noch mal richtig reintreten, landete aber bald beim nächsten Anstieg schnell wieder auf dem 42er Blatt und den größeren Ritzeln ….

Col de Marsolino
Col de Marsolino

Für die Passstraßen oder mit meinem Bob-Yak-Nachbau würde ich beim nächsten Mal vorne auf ca. 38 Zähne reduzieren. Ich habe zwar auch so alle Pässe geschafft, aber viel Gepäck wäre nicht mehr drin gewesen… Gute Bremsen sind auf Korsika absolutes Muss!! Meine Louise-Scheibenbremse vorn und die hydraulische HS33 hinten gaben mir stets ein gutes Gefühl. Bis auf die erwähnte gewaltsame Zerstörung hatte ich (City Jet vorn und Fat Boy-Slik hinten) keinen einzigen Reifenschaden, trotz der manchmal recht rauhen Straßen.

Auf der nicht ganz billigen französischen Insel gibt zahlreiche erschwingliche Campingplätze, oft sehr schön gelegen! Entsprechend den guten Bedingungen sind viele Radtouristen auf den Küstenstraßen der Insel anzutreffen. Hier wie auch anderswo freilich (noch) wenig Liegeräder. In den drei Monaten begegnete mir nur ein gelber Kurzlieger im Gegenverkehr auf einer meiner beruflichen Autofahrten. Und ein Tieflieger-Fahrer aus München sprach mich an, als ich auf einer meiner Touren mit meinem Racer an einer Bergstraßenkreuzung angehalten hatte, um einen der vielen Waldbrände zu beobachten. Er war zum Kletterurlaub auf derInsel, hatte sein Speed-Bike zu Hause gelassen und bereute dies bereits entschieden… Selber Schuld, kann ich da nur sagen!

Ich fahre jedenfalls wieder nach Korsika, und nicht ohne Lieger!!

Andi Erben, email: andi.erben@hpv.org, Bilder © Andi Erben