* 17. April 1943 †15. August 2022
Text: Andreas Pooch
Exzentrik: Bewusst und frei gelebte Abweichungen vom sozialen Mainstream. Exzentriker sind hochfunktional und fungieren als Spähtrupp, der anderen Gesellschaftsmitgliedern einen relativ gefahrlosen Aufbruch zu neuen Möglichkeiten erschließt.
In diesem positiven Sinne war Mike Burrows lange Jahre für die Fahrradwelt tätig und hat Bemerkenswertes geleistet. Ob die Fahrradindustrie davon viel gelernt hat, darf angezweifelt werden.
Als Kind wuchs Mike Burrows mit dem Bau von Modellflugzeugen auf. Die gängige Sozialisation ins Erwachsenenzeitalter führte (natürlich) auch über das Auto. Herumschrauben, Rennen fahren usw. Aber ein demoliertes Auto führte Mike zum Radfahren. Als ihm bewusst wurde, welch effiziente Maschine so ein Fahrrad ist, beschäftigte er sich mit dem Bau eigener Fahrräder. Es ließ sich vieles noch verbessern und der Fahrradbau war keine schwarze Kunst.
In den 1980er Jahren baute er Zeitfahrräder und kam 1981 zufällig an Carbonfasern. Damit war der Bau eines Monocoque-Rahmens möglich, der eine deutlich bessere Aerodynamik hatte. Der Zeitfahrer und spätere Freund Andy Pegg erreichte damit neue Bestzeiten. Als sie das Rad der Firma Raleigh vorstellten, waren die nicht interessiert an solch einem «Plastikspielzeug». Daraus ergab sich der so von Mike Burrows bezeichnete «Lotus-Zwischenfall». Nachdem Raleigh seinen flächigen Rahmen nicht bauen wollte, kam Mike zufälliger Weise zu Lotus. Mit der Lotus 108-Zeitfahrmaschine gewann Chris Boardman die 4.000-Meter-Verfolgung, indem er Weltmeister Jens Lehmann im Finale einfing und im Viertelfinale einen neuen Weltrekord von 4 Minuten 24,496 Sekunden aufstellte. Die Öffentlichkeitswirkung dieser Medaille, der ersten britischen Medaille im Radsport bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona seit 72 Jahren, bestätigte Lotus das Potenzial für eine Vermarktung einer Serienversion. Daraus wurde dann der Lotus Type 110.
Das Aufkommen der Human Powered-Bewegung in den 1980er Jahren mit dem Fehlen jeglicher Designbeschränkungen weckte Mikes Interesse. Das Windcheetah SL „Speedy“ entstand zu dieser Zeit. Mit diesem Liegedreirad errang Mike etliche Meisterschaften. Auf einer optimierten verkleideten Version stellte Andy Atkinson einen neuen Geschwindigkeitsrekord über 1.344 km auf: Lands End nach John O´Groats in 41 Stunden, 4 Minuten und 22 Sekunden.
Aber Mike Burrows interessierte sich nicht nur für Zeitfahrmaschinen und Liegeräder. Mit dem 8-Fright baute er ein Lastenzweirad – natürlich mit einseitig aufgehangenen Laufrädern, das sehr leicht war aber trotzdem 100 kg Last tragen konnte. Da sich die Last hinter den Fahrenden befindet, ergibt sich ein gutes Fahrverhalten bei nur 20 kg Gewicht.
In den 1990er Jahren wurde er von Giant angeheuert. Das MCR-Rennrad war eine der Entwicklungen für Giant. Eine Rahmen aus Vollschalen-Verbundwerkstoff, Laufräder mit Aerospeichen und ein verstellbarer Vorbau. Dann kam das leichte Giant TCR, mit einem sehr kompakten Rahmen mit abfallenden Oberrohr und Aerosattelstütze. Auch Mountainbikes wurden von Mike entwickelt und das Faltrad Giant Halfway, natürlich mit einseitiger Radaufhängung. Doch Burrows Kreativität wurde durch die UCI beschränkt. 2000 verließ er Giant und wandte sich wieder dem Liegerad zu.
Der Ratracer entstand, ein Tourenliegerad mit Alurohren, verbunden durch Gussmuffen und der Monoblade. Und dann ist da noch der Ratcatcher, ein sehr aerodynamischer Tieflieger. Und schließlich der Soup Dragon 2. Ein voll verschaltes Liegerad für Rekordversuche.
Zeitfahrräder
Ratracer Genesis – Spezi 2013
- Entwickelt aus den frühen Low-Racern zu einer eleganten Carbon-Maschine.
- Aerodynamischer Kurbelsatz und gekapselter Vorderradantrieb.
- Sechs Gänge im Hauptrohr mit einer Kette mit 8mm Teilung sowie handlichem Schalthebel.
- 52 Zähne auf 14 – 29er Kassette herunter auf einen Zahnkranz der zwischen 23 und 15 Zähnen gewählt werden kann.
- Hinterrad komplett im Heckkoffer untergebracht.
- Steuerung über ein Seilzugsystem.
Stadtrad
Es lohnt sich, auf Youtube nach Videos mit Mike Burrows zu suchen – diverse Interviewer haben ihn in seiner Werkstatt in Norfolk besucht und sich die technischen Finessen erklären lassen – teilweise kamen sie nicht gegen den Redefluss von Mike Burrows an.
Stimmen aus der Szene
Jürgen Eick
Wir können Freiherrn von Drais nicht dankbar genug dafür sein, dass er den Anstoß für eine Entwicklung gegeben hat, in deren langer Kette von Designern Mike Burrows einen herausragenden Platz einnimmt. Für die Weiterentwicklung des umweltfreundlichsten Verkehrsmittels, das jemals erfunden wurde, hat Mike Burrows so viel wie nur wenige andere geleistet. Ich hatte das große Vergnügen, Mike Burrows sowohl als einen der Organisatoren als auch als Teilnehmer der HPV-Europameisterschaft im Juli 1996 in Leicester zu erleben, wo mich nicht nur seine Windcheetah sehr beeindruckt hat, sondern auch seine lockere Art bei der Veranstaltungsführung und bei der Siegerehrung, die er mitten auf dem Marktplatz von Leicester vornahm.
Im August des gleichen Jahres habe ich ihn noch einmal erlebt, als er auf Einladung des Dansk Cyklist Forbund (unserem ADFC vergleichbar) in Kopenhagen einen Vortrag vor dänischen Designern über vermeidbare Fehler beim Fahrraddesign hielt. Damals überraschte er einen Teil seiner Zuhörer mit der Aussage, er glaube nicht, dass es gelingen werde, einen effizienteren Antrieb als die Kettenübertragung zu entwickeln. Eine klare Aussage, die bis heute trotz aller Anstrengungen ziemlich unwidersprochen sein dürfte.
Thomas Klein
Ende der 1980ger Jahre hatte ich regen Kontakt mit Mike Burrows. Ich hatte in England die Rohgussteile abgeholt, aus denen wir dann drei Windcheetahs aufgebaut haben. Dabei gab Mike mir auch das witzige Bild von ihm auf dem Olympia-Zeitfahrrad und dem Hochrad (Nr. 4 S. 10). Seine Gastfreundschaft und die megaherzliche Aufnahme bei ihm werden mir unvergesslich bleiben.
Auch der typische Humor, ich fühlte mich in einen realen Monty Python Film versetzt. 1991 traf ich ihn mit meinem neugebauten Windcheetah in Woolverhampton auf der EM. Bei einem anderen Besuch bei ihm fuhren wir zum Birdwatching (very british). Bei diesem Event fuhr Mike mal auf einem (fast) normalen Rennrad, ein seltener Anblick.
Johan Vrielink
«Aus „Amsterdam“ wurde „Cambridge“. Es wurde aus Aluminiumrohren und -gussteilen gebaut, und das Mehrfach-Ritzel-Getriebe war vollständig im Rahmen untergebracht. Es wurde gebaut, um Giant die Idee eines speziell für die Stadt gebauten Fahrrads zu verkaufen. Jetzt ist es bei „Paris“ angekommen, das in einem Stück aus glasfaserverstärktem Kunststoff gegossen ist und über ein, wie ich es nenne, „internes Direktübertragungssystem“ verfügt. Derzeit wird es für eine umfassende Markterkundung genutzt. Unter der Voraussetzung, dass es allen gefällt und wir einen kostengünstigen Weg finden, den Rahmen zu formen, sollte es eines Tages in Produktion gehen.» [Auszug aus dem Buch Bicycle Design von Mike Burrows]
Nach den Informationen, die ich von Leuten bei Giant Lelystad erhalten habe, wurden nur zwei dieser Fahrräder hergestellt. Einer von ihnen war bei Giant in Lelystad anwesend. Bei einer Aufräumaktion sollte dieser in den Müll geworfen werden. Ich konnte nicht glauben, dass etwas so Einzigartiges auf den Müll geworfen wurde. Ich durfte diesen ersten Prototyp mitnehmen.