Das Portrait eines HPV-Pioniers
Auszug aus dem Infobull 222, Text von Jens Buckbesch
Eggert Bülk wurde 1940 in Hamburg geboren, mit 8 Jahren wanderte er mit seinen Eltern nach Kolumbien aus. Es waren wirtschaftlich schwierige Zeiten und Eggert musste schon als Jugendlicher hart auf der elterlichen Farm mitarbeiten, neben Schule und Ausbildung. Dennoch interessierte sich Eggert schon als 12-jähriger für Aerodynamik und konstruierte Segelflugzeuge für Modellwettbewerbe.
Mit 14 Jahren fokussierte sich Eggert auf die aerodynamische Verbesserung von muskelkraftbetriebenen Fahrzeugen. Er baute Seifenkisten und teilverkleidete Roller, mit denen er begann, den Gesetzen der Aerodynamik auf die Spur zu kommen. Dieser leidenschaftliche Antrieb sollte ihn sein Leben lang begleiten. Fortan nahm er an allen interessanten Fahrradrennen teil, in denen technische Innovationen zugelassen waren und optimierte immer weiter.
Er zog 1961 nach Deutschland, studierte Maschinenbau und machte sich dabei auch mit den wissenschaftlichen Grundlagen der Aerodynamik vertraut. Für seine Familie und die Unterstützung seiner Eltern ging Eggert 55 Jahre als Maschinenbauingenieur zur Arbeit und erst mit 80 Jahren in Rente. Wenn Eggert nach Feierabend zu Hause seine private Werkstatt betrat, konnte er sich ganz der Leidenschaft für HPV-Fahrzeuge widmen. Dann machte er die Nacht zum Tag und schuf eine ganze Reihe von Konstruktionen, die später maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung kommerzieller Liegeräder und Velomobile haben sollten.
Eines hatten alle diese Entwürfe und Konstruktionen gemein: Sie waren extrem und versuchten immer, das Maximum an Effizienz und Geschwindigkeit zu erreichen. Nicht immer waren diese Unikate alltagstauglich, waren sie doch stets für den Wettkampf gedacht. Doch gerade im Überschreiten vieler konventioneller Grenzen hat Eggert Bülk Paradigmen der Fahrradkonstruktion gesprengt und damit die Grundlagen für Innovationen geschaffen.
Mit seinen extremen Konstruktionen konnte Eggert viele Preise auf Rennen gewinnen und das gab ihm offenbar auch die Kraft für immer neue Innovationen und Ansätze. In den 90er Jahren schuf Eggert ein einspuriges Velomobil auf der Grundlage eines frontgetriebenen Ultra-Tiefliegers, den Bülk 1 und später den Bülk 2. Mit diesem Fahrzeug konnte er sowohl auf Rennen hervorragende Ergebnisse erzielen als auch im öffentlichen Straßenverkehr fahren. Er setzte es als Pendlerfahrzeug für seine Fahrten zur Arbeit ein. In dieser Zeit lernte ich Eggert über die HPV- und Rennszene kennen. Er war und ist für mich wie ein Freund und Lehrer zugleich.
Eggert fuhr mit dem Bülk 2 auf den Rennen wie der Teufel, ich hatte trotz des großen Altersunterschiedes keine Chance gegen ihn. Glücklicherweise durfte ich eine Kopie von seinem Bülk 2 machen. Ich nahm eine Negativform ab und baute verschiedene Exemplare daraus. Auf einem fuhr Christian von Ascheberg 2009 den 24-Stunden Weltrekord .
Der Milan
Auf Rennen zeigte sich allerdings, dass einspurige Velomobile bei Regen große Nachteile gegenüber den mehrspurigen Velomobilen wie z.B. dem Quest hatten. Es kam zu etlichen Stürzen und vor diesem Hintergrund gelang es mir Ende 2005 Eggert von einem gemeinsamen Velomobilprojekt für ein dreispuriges Fahrzeug zu überzeugen: dem Milan. Dieses Velomobil sollte vorrangig auf Speed und maximale Fahreffizienz ausgelegt sein (das war ja das, was Eggert antrieb) und gleichzeitig volle Alltagstauglichkeit, Sicherheit und Komfort bieten (das sollte aus meiner Sicht zwingend dazu gehören).
So starteten Eggert und ich das Milanprojekt und Eggert schuf zunächst das Urpositiv des Milan GT (siehe Bilder links). Von diesem Urpositiv zog ich eine Produktionsform und machte den ersten Abzug.
Eggert erstellte dann Positive für verschiedene Hauben und Lukendeckel, ich konzentrierte mich auf die interne Technik des Fahrzeuges.
Auf der Europameisterschaft 2009 in Leer sprang Daniel Fenn als Fahrer für den Milan GT kurzfristig ein und wurde Gesamtsieger. Aus dem Milan GT leitete Eggert 2008/9 den Milan SL ab, mit dem Christian von Ascheberg 2010 einen neuen 24 h- und 12 h-Weltrekord fuhr (siehe Tabelle am Ende des Artikels). Als ultraschnelles Velomobil mit sehr hoher Alltagstauglichkeit traf der Milan den Nerv vieler sportlicher Radfahrer und es gab viele Anfragen nach einem Exemplar. Um das Milanprojekt zu kommerzialisieren, brachte ich den Milan 2009 ins Räderwerk Hannover ein und baute dort die Velomobilabteilung für den Verkauf und die Weiterentwicklung des Milan auf. Mein Schwerpunkt bis zum Verlassen des Räderwerkes in 2020 war die Weiterentwicklung des Milan zu mehr Alltagstauglichkeit und Leichtbau. So konnte ich dazu beitragen, dass Eggerts Milanvelomobile Verbreitung erlangten und sein geniales Velomobil-Design heute auf fast allen Kontinenten der Erde Freunde und Nutzer gefunden hat.
Im Jahre 2013 baute Eggert den ersten 2-Sitzer auf der Grundlage des Milan GT: Mit dem Milan 4.2 fuhr er 2016 selbst einen Weltrekord.
Auch heute noch ist Eggert aktiv und konstruiert am Computer. Sein letztes Projekt war der Entwurf eines Nur-Flüglers als Großraumflugzeug: Wen eine detaillierte Beschreibung der Entwicklung des Milan interessiert, kann dies unter: MiWik: Der Milan und seine Geschichte im Internet finden.
Zur Entwicklung des Milan 4.2 findet man unter MiWik: Der Milan 4.2 reiches Material.
Man kann sagen, dass Eggerts Leidenschaft für Aerodynamik und Konstruktion im Milan-Projekt ihren Höhepunkt und auch eine angemessene Verbreitung gefunden hat. Gleichwohl hat Eggert dabei nie ein kommerzielles Interesse verfolgt und auch nicht kommerziell davon profitiert. Es ging ihm immer nur um die Sache selbst und die Freude an den Ergebnissen! Als HPV-Mitglied der ersten Stunde hat sich Eggert Bülk immer auch für den Verein engagiert und viele Artikel in dessen Zeitschriften veröffentlicht.
Die Formensprache erreicht mit dem Milan SL und GT (ganz links) ihren Höhepunkt.
Insbesondere auf dem Milan SL sind viele Weltrekorde gefahren worden und damit bekommt das Lebenswerk Eggert Bülks eine angemessene Würdigung.
Denn dafür hat Eggert Bülk gelebt: die Konstruktion von muskelkraftbetriebenen Rekordmaschinen, und das tat er erfolgreich wie kaum ein anderer: mit Leidenschaft und Genie!
Das Foto zeigt Eggert mit seinem aktuellen Projekt: der Nurflügler.
Weltrekorde – gefahren mit Bülk und Milan
Datum | Fahrzeug | Rekord | Verband | Kilometer / Schnitt | Fahrer |
---|---|---|---|---|---|
01.08.2009 | Bülk 2 | 24 h | WHPVA | 1.069,07 km (44,54 km/h) | Christian v. Ascheberg |
01.08.2009 | Bülk 2 | 1.000 km | WHPVA | 22:25:09 h (44,60 km/h) | Christian v. Ascheberg |
01.08.2010 | Milan SL | 24 h | WHPVA | 1.219,02 km (50,79 km/h) | Christian v. Ascheberg |
01.08.2010 | Milan SL | 12 h | WHPVA | 664,97 km (55,41 km/h) | Christian v. Ascheberg |
29.07.2012 | Milan SL | 12 h | WHPVA | 472,8 km | Kirsten Niederlein |
2013 | Milan SL | 6 h | IHPVA | 62,8 km/h | Matthias König |
21.07.2014 | Milan SL | 12 h | WHPVA | 676,45 km (56,37 km/h) | Wulf Kraneis |
27.07.2014 | Milan SL | 24 h 4-er-Staffel | WHPVA | 1.469 km (61,27 km/h) | Roland Schell, Igor Paliouk, Hubert Englmann, Thomas Schechinger |
27.07.2014 | Milan SL | 12 h 4-er-Staffel | WHPVA | 750,84 km (62,57 km/h) | Dito |
27.07.2014 | Milan SL | 200 Meilen | WHPVA | 4:58:48 h (64,26 km/h) | Dito |
27.07.2014 | Milan SL | 100 Meilen | WHPVA | 2:28:50 h (64,85 km/h) | Dito |
27.07.2014 | Milan SL | 1.000 km | WHPVA | 16:06:52 h ?62,04 km/h | Dito |
27.07.2014 | Milan SL | 24h | WHPVA | 825 km | Petra von Fintel |
12.07.2015 | Milan SL | 24 h | WHPVA | 1.011 km | Petra von Fintel |
12.07.2015 | Milan SL | 1.000 km | WHPVA | 23 h 42 m | Petra von Fintel |
12.07.2015 | Milan SL | 12 h | WHPVA | 575 km | Petra von Fintel |
12.07.2015 | Milan SL | 12 h | WHPVA | 680,68 km (56,72 km/h) | Hartwig Müller |
22.09.2015 | Milan SL | Österreich West nach Ost | UMCA | 695,2 km / 20 h 55 min | Roland Schell |
09.07.2016 | Milan SL | 1 h (st. Start) | IHPVA | 68,11 km | Matthias König |
09.07.2016 | Milan SL | 6 h | IHPVA | 62,8 km/h | Matthias König |
09.07.2016 | Milan 4.2 | VM mit Passagier (213 kg GesGew.) | WHPVA | 20,38 km | Eggert Bülk (76) |
09.06.2017 | Milan SL | Deutschland Süd-Nord | UMCA | 1 Tag 8 Std. 59 min 1.074,2 km (32.57 km/h) | Roland Schell |
WHPVA = World Human Power Vehicle Association
IHPVA = International Human Power Vehicle Association
UMCA = Ultra Marathon Cycling Association records