In der Hochzeit der Bauaktivitäten in der Liegeradszene, in der sich auch die Kunststofftechnischen Möglichkeiten verbesserten, war Stefan Gloger mit zwei- und vierrädrigen Prototypen neuer Velomobile unterwegs.
Fragen, Fotos: Andreas Pooch – Text: Stefan Gloger
Info Bull: Ist das Liegerad immer noch Exotenprodukt?
Stefan Gloger: Der Begriff «Exotenprodukt» ist sehr subjektiv. Statistisch betrachtet gibt es heute viel mehr professionelle Hersteller und Produkte als vor 30 Jahren. Es gibt einen Markt mit sehr vielen unterschiedlichen Produkten und Herstellern aus unterschiedlichen Herkunftsländern. Und es gibt Konkurrenz unter den Herstellern. Die Gesamtzahl aller verkauften und genutzten Liegeräder, Dreiräder und Velomobile ist nach wie vor statistisch deutlich geringer als jene der «uprights». Liegeräder würde ich deshalb als selten einstufen, aber nicht exotisch. Fast jeder, den man auf der Straße fragen würde, würde sagen, er (oder sie) weiß was ein Liegerad ist.
Info Bull: Wie bist Du zum Liegerad gekommen?
Stefan Gloger: 1985 habe ich auf dem Fahrradtag in Darmstadt den Vector gesehen und habe mich mit Herrn Gronen lange unterhalten. Ich war überzeugt, dass man dieses Konzept alltagstauglicher (mein damaliges Nutzungsprofil) weiter entwickeln müsse. Das habe ich dann ja auch gemacht.
Info Bull: 1987 hast Du das Projekt DESIRA begonnen. Was bedeutet das Kürzel und warum hast Du dieses Projekt begonnen?
Stefan Gloger: Das Kürzel bedeutet «Darmstädter Ergonomie- und Sicherheitsrad» und deutet auf die Eigenschaften hin, die dabei besonders berücksichtigt wurden. Außer der «Leitra» und dem «Velerique» kannte ich damals keine weiteren Velomobile, die auf täglichen Gebrauch optimiert waren. Hauptsächlich aus Kostengründen habe ich dabei auf ein zweirädriges Konzept gesetzt. Obwohl dieses im zweiten Anlauf technisch erfolgreich war, habe ich aus psychologischen Gründen noch eine vierrädrige Variante gebaut. Wiederum zur Reduzierung der anfänglichen Preishürde für die potentiellen Kunden wurde dann ein modulares Konzept entwickelt, aus dem ein 2-Rad und ein 3-Rad gebaut werden konnten (ähnlich wie beim Flevobike). Verkleidung und Gepäckkiste waren optional. Auch davon habe ich im zweiten Anlauf eine leichtere Variante entwickelt und gebaut.
Info Bull: DESIRA lief ja nur eine begrenzte Zeit. Warum hast Du es nicht weiterverfolgt?
Stefan Gloger: Meine Arbeit war nur möglich durch die Unterstützung der «Akaflieg» Darmstadt und der TU-Darmstadt. Das Institut für Arbeitswissenschaft hat meine Studienarbeit und meine Promotion zu diesem Thema gesponsert. Durch den Einsatz von über 40 studentischen Studien-und Diplomarbeiten wurde diese Investition multipliziert. Die Firmengründer von HP-Velotechnik sowie Riese und Müller waren auch unter meinen Studenten. Daher die vielen unterschiedlichen Konzepte. Das hätte ich alleine niemals schaffen können. Am Ende dieser Zeit wurden zwei Arbeiten zu möglichen Geschäftsmodellen durchgeführt, die jeweils eine 50% Erfolgswahrscheinlichkeit vorhersagten. Das habe ich damals nicht riskiert.
Info Bull: Hätte das DESIRA nicht das Potential für ein Serienfahrzeug?
Stefan Gloger: Die Vielzahl von Velomobilen, die es zwischenzeitlich gibt, zeigen, dass es ein Potential gibt. Glücklicherweise hatten andere Menschen mehr Risiko-Bereitschaft als ich. Seit dieser Zeit haben sich einige Randbedingungen geändert, die prinzipiell neue zusätzliche Möglichkeiten schaffen, z.B. bessere Schaltungen, Pedelec-Antriebe als Nachrüstsatz, 3-D-Druck und Verkleidungen ohne den Einsatz von Faserverbundwerkstoffen. Entwicklungen in den Konnektivitäts-Technologien eröffnen neue Geschäftsmodelle.
Info Bull: Welche Bausteine sollte eine zukunftsfähige Mobilitätsgestaltung beinhalten?
Stefan Gloger: Der wichtigste Baustein in der zukünftigen Mobilität wird die Information über Mobilitäts-Optionen sein. Die Nutzer von Mobilität werden über mobile Endgeräte zu jeder Zeit wissen, welche Mobilitätsoptionen ihnen zu welchen Preisen zur Verfügung stehen. Vergleichs-Software wird zur Systemoptimierung führen. Die Planer von Mobilität werden über automatisierte Zähl- und Beobachtungseinrichtungen (Kameras, Bildauswertungssoftware) minutenaktuelle Statistiken besitzen, mit denen nicht nur Ampeln, sondern auch Verkehrsangebote gesteuert werden können. Stehen diese Informationen auch öffentlichen und privaten Mobilitätsdienstleistern zur Verfügung, so entstehen neue Optimierungsmöglichkeiten. Ob dabei eine größere oder kleinere Diversifizierung der Fahrzeugarten entstehen wird und damit mehr Chancen für Velomobile, ist schwer vorher zu sagen.
Info Bull : Für wen und für welche Fahrten ist ein Velomobil ideal?
Stefan Gloger: Ein Velomobil ist für alle geeignet, sofern der Ein-und Ausstieg und die benötigte Fahrzeit als zumutbar empfunden wird. Beides ist Bauart- und Personen-bedingt. Die Bedingungen verbessern sich, wenn man Verkehrswege benutzen kann, auf denen wenig Konkurrenz mit anderen Verkehrsteilnehmern herrscht. Das kann ein Fahrradweg in Flevoland sein, ein Fahrradschnellweg, ein gut befestigter Wald-oder Feldweg oder eine wenig genutzte Landstraße. Grundsätzlich kann ein Velomobil mehr Funktionen erfüllen als ein klassisches Fahrrad
Info Bull : Welche Hindernisse gibt es für Velomobile im traditionellen deutschen Verkehrsgeschehen?
Stefan Gloger: Wie bereits erwähnt mögen Velomobile höhere Geschwindigkeiten. Hindernisse, Bordsteinkanten, enge Kurvenradien machen diesen Vorteil zunichte. Es verhält sich ähnlich wie bei einem Rennrad. Ampeln sind auch nicht hilfreich, wenn man jedes Mal über 25 kg beschleunigen muss. Andernorts gibt es kreuzungsfreie Fahrradschnellwege!
Ich glaube die Zukunft des Velomobils liegt noch vor uns!
Info Bull: Vielen Dank
Dr. Ing. Stefan Gloger studierte an der TU Darmstadt Maschinenbau und promovierte 1995 im Fachgebiet Arbeitswissenschaft ? Seit 1996 bei der Adam Opel AG ? Verschiedene Funktionen im Bereich Strukturentwicklung und Simulation ? Leiter Karosseriekonstruktion Unterbau ? Leiter Fahrzeugintegration ? Leiter „Feasibility“ ? Seit 2011 „Architecture and Vehicle Configuration“