von Bremen nach Frankreich und zurück
Text, Fotos: Friedrich Pohl & Georg Hansen
Wir, Friedrich (60) und Georg (79), zwei untrainierte Liegeradler, sind Mitte April 2023 mit unseren nagelneuen Quadvelos (Nr. 005 und Nr. 006 aus 2022) von Bremen nach Frankreich aufgebrochen. Eine Tour über unterschiedlichste Straßen und Radwege. Die Quadvelos haben viel auszuhalten gehabt, denn alle guten Wege sind durch schlechte Wege verbunden.
Die beiden Quadvelos (QVs) haben Scheibenbremsen an allen 4 Rädern und sind mit dem Sachs-Tretlagermotor bis 25 km/h gut und kräftig unterstützt. 2 Akkus erlauben Reichweiten oberhalb von 100 km. Der Regenschutz der Fahrzeuge war über einen Monat unbedingt nötig. Trotzdem muss man sich warm anziehen, denn der Boden ist unten offen: Ein kühlender Effekt. Pfützen sollte man nur langsam durchqueren, sonst wird man nass! Das meiste Gepäck lässt sich hinter dem Sitz durch die Heckklappe verstauen. Zusätzlich haben wir beidseitig eine Tasche neben dem Sitz an den beiden Türen, für den Zweitakku & Ladegerät sowie für anderes Gepäck. Als „nicht-Minimalisten“ haben wir eine 8 cm dicke selbstaufblasbare Isomatte (3 kg), ein großes Zelt (5,5 kg), genügend Kleidung, Kochgeräte und -zubehör sowie ausreichend Nahrungsmittel dabei: 40 bzw. 50 kg je Fahrzeug. Eindeutig zuviel Gepäck, aber wir brauchten in der kalten Periode den dicken und dünnen Schlafsack ebenso wie viele Kleidungsstücke übereinander gezogen.
Georg hat viele Monate recherchiert, um möglichst „bergfreie“ Wege entlang von Flüssen/Kanälen und Radwegen auf ehemaligen Eisenbahnlinien in allen Ländern zu legen. Er hat ein Netz von Wegen zusammengestellt, das unterschiedlich lange Strecken in Frankreich zuließ. Die Maximalversion führte nach Bordeaux, sie wurde nicht realisiert, um eine längere Strecke an der Loire und nach Burgund fahren zu können. Der Rückweg entlang von Meuse (Maas) bis zum Niederrhein war die „flachste“ und schnellste Variante zurück nach Bremen.
In Teilen Norddeutschlands, den NL und Belgiens gibt es ausgeschilderte Knotenpunkte, die die Orientierung unterwegs und auf der Karte vereinfachen. Unabhängig davon gibt es ausgeschilderte Langstreckenradrouten mit mehr oder weniger guter Beschilderung. Ehemalige Eisenbahnlinien als Radrouten sind häufig und in allen Ländern fast eine Geheimsache – in den Dörfern und Städten wurde selten in ihre Richtung mit Beschilderung verwiesen. Man findet sie oder sucht sie!
Google maps kennt nur einen (geringen?) Teil dieser Radwege – manche vorgeschlagene Wege erwiesen sich als zu schmale, zu schlechte Radwege. Dagegen hat es uns mehrfach durch Städte gelotst und „wusste“, welche Einbahnstrassen wir in Gegenrichtung nehmen konnten. Uns reichten täglich Tagesetappen von 60 bis 80 km, um Zeit für Erkundigungen, Essen usw. zu haben: Reisen statt rasen. Bei Hitze nutzten wir die kühlen Morgenstunden zum Fahren.
Regen und Kälte zwangen uns über den ersten Monat, auf Hotels, Bed&Breakfast und feste Unterkünfte wie Hütten, Fässer, Mobilhomes und feste Zelte auf Campingplätze auszuweichen. Bis auf die Feiertage waren wir außerhalb der Saison unterwegs und hatten keine Mühe, diese spontan zu buchen. Die eigene Zeltausrüstung kam erst ab dem Burgund zum Einsatz, dann jedoch über einen Monat lang täglich. Die nächtliche Kühle haben wir letztendlich vermisst, als die Tagestemperaturen oberhalb von 30 Grad C waren. Wir haben bei Hitze das Außenzelt unseres Zeltes (MSR Habitude 4) weggelassen und konnten kühl schlafen!
Reaktionen von Mitmenschen
Mit dem QV ist man nie alleine, denn in allen Ländern waren Menschen an der Reichweite, dem Packvolumen, der Höchstgeschwindigkeit und dem Preis des QVs interessiert. Es leuchtet vielen Menschen ein, dass sich hiermit ein Auto ersetzen lässt – auch zum Transport von Material, Kind oder Hund. Kennern von Pedelecs war (eher) klar, dass der Preis solange angemessen ist, wie keine Massenproduktion zur Verfügung steht. Dort, wo wir auf Strassen gefahren sind, haben Autofahrer ausreichend Abstand gehalten. Häufiger auch zuviel davon, bis dann an ungünstigen Stellen (vor nicht einsehbaren Kurven oder in Tempo 30 Zonen) eher gefährlich überholt wurde. Autofahrer sind häufig unfähig, so kleine Vehikel zu überholen oder heften ihre Blicke viel zu lange auf diese.
Nicht selten zückten Radfahrer einhändig ihr Handy und haben uns fotografiert – deutlich gefährlicher als die fotografierenden Fussgänger. Auf Radwegen setzten wir vor dem Überholen von Radfahrer eine „Tröte“ ein und warnten. Hunde-ausführende Fussgänger wurden ebenso vorgewarnt, mit Glück wurden die Hunde angeleint oder tendierten doch zur Kollision mit uns. Selbstverständlich rechneten wir damit und reduzierten entsprechend die Geschwindigkeit.
Bewertung des Fahrverhaltens unserer beladenen QVs
Wege-Qualität: Matsch im verregneten Wald, Sand, Granulat- und Kieswege, Betonplatten oder glatte Aspahltwege – überall kamen wir mit unseren QVs durch. Man muss ggf. die Geschwindigkeit anpassen oder bei ungeeigneten Wegen möglichst bald abfahren und (meist) Strassen nutzen. Auf manchen Wegen wären wir mit einem Dreirad gescheitert – die gleiche Spurbreite vorne und hinten ist sehr praktisch. Die Breite von 85 cm ist meist unproblematisch.
Geschwindigkeit: Durchschnittlich waren wir 19,7 km/h schnell. Die Höchstgeschwindigkeit von 67 km/h haben wir nur auf einer breiten, sehr guten und wenig befahrenen Strasse bergab erreicht. Dagegen sind 40 km/h bei leichtem Gefälle schnell erreicht und lassen uns gefühlsmässig dahin fliegen.
Sitzkomfort: Die Sitze sind sehr komfortabel – wir haben sie mit einem Schafsfell erweitert, um in der Kühle „kuschelig“ sitzen zu können. In der Hitze hat dies nicht gestört.
Übersichtlichkeit
Anfangs bedarf es etwas Gewöhnung, den Verkehr links und rechts zu überschauen. Die vielen Fenster erleichtern die Umgewöhnung vom „offenen“ Fahrrad zum QV.
Handhabung: Die Lenkung ist leichtgängig, aber nicht zickig, der Wendekreis von ca. 7 m ist für den ehemaligen Mango-Fahrer Friedrich normal, für den Scorpion-Fahrer Georg ungewöhnlich groß. Mancher Ampeldruckknopf lässt sich nur durch Rangieren oder Fenster-/Türöffnen erreichen.
Belüftung: Mit der vorderen Klappe und den herausnehmbaren Seitenscheiben an den Türen lässt sich das QV gut an die Temperaturen anpassen. Bei Nässe hilft ein kleiner Ventilator das Beschlagen der Frontscheibe zu verhindern. Hat sich alles bewährt.
Straßenlage: Generell hat das beladene QV eine sehr „satte“ Lage auf den Wegen, doch Strassenschäden wie Löcher, Wurzeln oder Kanten ungleicher Steine oder Betonplatten mag das Fahrwerk nicht. Vor Abfahrt war Friedrich mit dem Vorderrad in eine Strassenbahnschiene gelangt und hat dabei eine Achse verbogen – zum Glück ist die dicke Edelstahlschraube im Handel erhältlich. Bei Georg hatte sich vor Reisebeginn die Spur verstellt – auch dies konnte behoben werden.
Steigungstauglichkeit: Wir Flachländer kommen selbst mit Gepäck Hügel gut hoch, manchmal quälen wir uns an langen Steigungen, trotz guter Motorunterstützung. Die Abfahrten entschädigen dafür. Berge haben wir nicht befahren!
Geräuschentwicklung: Ein solches Gefährt kann innen nicht leise sein. Georg wünscht sich etwas Geräuschdämmung, Friedrich kann die Fahrgeräusche „überhören“ und ein dritter QV-Fahrer in Bremen benutzt aktive Ohrhörer zur Geräuschunterdrückung. Man sollte vor dem Kauf eine Probefahrt auf unterschiedlichen Untergründen machen.
Verschleiß: Nach 3.150 km Gepäcktour plus ca. 400 km Testfahrt vorab überschaubar: Riss der verschlissenen Kette bei Friedrich, Spiel des Vorderrades bei Georg und Plattfuss bei Friedrich (vorne, durch einen Dorn). Eine professionelle Inspektion steht jedoch noch aus, siehe unten.
Wartung – machen und machen lassen:
Wir sind keine Mechaniker, aber einen Platfuss oder das Flicken, Zusammenbasteln und Wechseln einer (neuen) Kette haben wir hinbekommen. Die weitere Wartung erfahren unsere QVs bei Henning Tesch (Velomobil Ottersberg). Der Kontakt zum Konstrukteur, Steffen Schönfelder (Velomo) und auch zum Hersteller (Herr Smets von Eurocircuits; www.quadvelo.com) erlaubt(e) Nachfragen und Tipps bei Schwierigkeiten. Die Reise war erlebnisreich mit vielen (Landschafts-)Eindrücken. Zukünftig dürften derartige Reisen in Europa nach erfolgreicher Verkehrswende leichter werden. Wir hoffen auf eine weite Verbreitung der QVs und ähnlicher Velocars.