Symposium Feinmobilität

Am 26.-28. September 2022 in Kassel fand das zum Symposium statt. Mit einem Beitrag des HPV Deutschland vertreten durch Heike Bunte, wo wir unsere Erfahrungen zum Thema: „Feinmobile- Fahrzeugökosystem, Branche und Markt“ einbringen.

Kein Thema dominiert derzeit so die politischen Debatten, Kongresse und zahlreiche Fachartikel, wie die rund um Aktive Mobilität, Fusion Mobility und ihr Einfluss auf Stadtgestaltung, Maßnahmen zur Rettung des Klimas sowie Energie-und Ressourceneinsparungen. Die (vermeintliche) Ablösung der (post-)fossilien Ära wird dabei wohl die kniffeligste Herausforderung, denn derzeit wird sie lediglich um den Begriff „Elektro“ weiter bespielt; aber ohne die notwendige Änderung hervorzurufen. Die Krone des ganzen zelebriert die ITS (Intelligent Transport Solutions) Branche und Forschung, indem sie mehr oder weniger glaubhaft vermittelt, dass autonomes Fahren „sicher“ sei. Was hat all dies mit „Feinmobilität“ zu tun?

Das Symposium zum Thema: „Feinmobilität“ wird von der Universität Kassel; Fachgebiet Verkehrsplanung und -systeme sowie dem Think-Tank und Kreativlabor: „The Urban Idea“ aus Freiburg organisiert. Dabei wird die Feinmobilität als Bewegungsmittel zwischen „Schuh und Auto“ verstanden. Das 2-tägige Event fokussiert die ganze Bandbreite an „Fahrzeugen“, die nicht ohne weiteres eine Berücksichtigung im täglichen Planungskanon von Straßenbehörden finden. Es will zu Fahrzeugen, wie Velomobile, Lastenräder, muskelkraftbetriebe und elektrische Mobilitätshilfen, elektrische Leichtfahrzeuge zum Personen- und Gütertransport eine Stellung beziehen. Ein interdisziplinär angelegtes Diskussionsformat, wozu zahlreiche bekannte Vertreter*innen aus Politik, Verwaltung, NGO’s, Wissenschaft und Industrie eingeladen sind. Neben dem HPV Deutschland haben HP Velotechnik und Hase Bikes ebenfalls eine Einladung erhalten.

Internet: Uni Kassel, Projekte , Deutsche Bundesstiftung Umwelt und The Urban Idea, Freiburg

Mail: symposium.feinmobilitaet@uni-kassel.de

Bericht vom Symposium Feinmobilität

Text – Fotos: Andreas Pooch

Vom 26. – 28. September 2022 trafen sich an der Uni Kassel Expert: innen aus Forschung, Verkehrsplanung, Industrie und Verbänden. Auch der HPV Deutschland war eingeladen und wurde von Andreas Pooch vertreten. Es ging darum, eine neue „Körnung“ von Individualfahrzeugen zu diskutieren.

Angesichts der Klimaproblematik und dem Erfordernis, bis 2030 den CO2-Ausstoß deutlich zu reduzieren, kommt dem Verkehrsbereich eine erhebliche Bedeutung zu. Auch wenn viele „Leichtfahrzeuge“ auf den Markt streben, erschweren zahlreiche Rahmenbedingungen ihren Erfolg. Den Status Quo der automobilen Gesellschaft aufzubrechen, erfordert hohe Anstrengungen. Das Verkehrsrecht ist autozentriert, die Zulassungsvorschriften behindern Leichtfahrzeuge, ein Umbau der Infrastruktur ist sehr schwer und erfordert von den Verantwortlichen in Politik und Planung erheblichen Mut. Dass es aber auch anders geht, zeigen immerhin bereits viele in- und ausländische Beispiele.

Das Symposium war thematisch in drei Teile gegliedert: – Forschung und Entwicklung – Verkehrspolitik und Gesetzgebung – Technische Regelwerke in der Infrastrukturplanung. Das Programm war so gestaltet, dass Referent: innen in Impuls-Vorträgen Statements aus ihren jeweiligen Bereichen vortrugen. Dann konnte das Plenum dazu Stellung nehmen, Fragen stellen und diskutieren.

© The Urban Idea GmbH und das Fachgebiet Verkehrsplanung und Verkehrssysteme

Forschung und Entwicklung

Um überhaupt erstmal einen Überblick zu erhalten, was unter „feinerer Körnung“ zu verstehen ist, startete das Symposium mit den Herstellern von Fahrzeugen und der Vorstellung ihrer Produkte. Beginnend bei den Schuhen, die als Werkzeuge für Mobilität verstanden werden können, reicht die Unterteilung von Mobilitäts-Werkzeugen über Roller, Fahrräder, Lastenräder, Elektroleichtfahrzeuge bis hin zu kleinen Automobilen (zumeist elektrisch). Als Gegenpart, nämlich die „grobe Mobilität“, stehen am Ende der Palette die heute noch üblichen überdimensionierten Autos, mit dem „Saurier SUV“.

Die Fahrradsparte vertraten die Firmen Riese & Müller, die nur noch mit Pedelecs und S-Pedelecs unterwegs sind, HP Velotechnik stellte seine Liegeräder vor und die Firma Akkurad ihre Velomobile und neuen Transportvierräder. Mit der Vorstellung der unterschiedlichen Fahrzeuge wurde schnell klar, dass unsere heutigen Automobile deutlich überdimensioniert sind. Und es gibt zu viele davon, nämlich 580 Fahrzeuge auf 1.000 Einwohner in Deutschland. Diverse unterschiedlich gestaltete Leichtfahrzeuge, die angepasst sind an einen bestimmten Mobilitätszweck, am besten verfügbar in Sharing-Stationen, sind ressourcenschonender, umwelt- und stadtfreundlicher.

Ziel muss sein, fundiertes Wissen zusammenzutragen und eine breite Datenbasis zur Feinmobilität zu schaffen. Nur so kann man Wege ausarbeiten für eine (Fein)Mobilitätswende, die nicht einfach nur eine Antriebswende sein kann. Wer denkt, den Verbrennungs- nur durch dem Elektromotor zu ersetzen, verkennt, dass es viel mehr Probleme mit unserem gegenwärtigen Verkehrsverhalten gibt, die gelöst werden müssen. Alleine der Platzverbrauch, den die „Stehzeuge“ heute verbrauchen, ist nicht mehr hinnehmbar und verhindert eine gerechtere Platzverteilung. Übrigens gibt es eine tolle Internetseite, mit der man seine eigenen Straßen umgestalten kann, und von der einige der eingestreuten „Straßenbeispiele“ stammen: www.streetmix.net.

Die aktuell sehr verbreitete Aufteilung des Straßenraums
Die autofreie Aufteilung des Straßenraums © www.streetmix.net

Bei der Datensammlung geht es nicht alleine nur um Fakten zum jeweiligen Fahrzeug (Dimensionen, Gewicht, etc.) sondern auch um Ökobilanzen, ökonomische und soziale Kriterien. Der Materialaufwand, um solche Fahrzeuge zu produzieren, muss in die Betrachtung einfließen ebenso wie der nötige Energieaufwand. Auch die Umweltauswirkungen bei der Nutzung von Feinmobilität sollte man nicht vergessen. Ebenso ist wichtig, welche Effekte sich auf Arbeitsplätze ergeben, wenn man zu Feinmobilität umswitchen möchte. Und die Einflüsse auf Quartiers-, Stadt- und Landesebene dürfen nicht vergessen werden.

Technische Regelwerke zur Infrastrukturplanung

Feinmobilität muss man in der Verkehrsplanung als ein Mobilitätssegment des Individualverkehrs verstehen und bearbeiten, nicht als „Restmobilität“, die auf verbliebenen Flächen untergebracht werden muss. Sie muss eine quantitativ und qualitativ gut ausgebaute Infrastruktur werden, zu Lasten des Kfz-Verkehrs und zu Gunsten des Umweltverbundes. Dabei müssen auch intermodale Wegeketten betrachtet werden, also die Verknüpfung unterschiedlicher Verkehrsmittel auf einer Reisekette (z.B. mit dem Rad zum Bahnhof, mit dem Zug zum zielnahen Ort, dort ein Rad ausleihen oder einen E-Roller, vielleicht aber auch das mitgenommene Faltrad zur Zielerreichung verwenden).

Dafür müssen alle relevanten Regelwerke überarbeitet werden, um Feinmobilität mehr Gewichtung zu verschaffen. Sinnvoll ist ein vereinfachtes System von Verkehrsflächen nach Fahrzeugkategorie und Höchstgeschwindigkeit, zum Beispiel:
■ Geh 6 km/h ■ Misch 6 km/h ■ Rad 20 km/h ■ Misch 20 km/h ■ Rad 30 km/h ■ Misch 30 km/h ■ usw.

Anzupassendes Regelwerk: Richtlinien für die Anlagen von Straßen (RASt).
Gehwege müssen ausreichend dimensioniert sein und nicht Sammelfläche für den „Restverkehr“. Flächendeckend mindestens 2,5 m Breite und barrierefrei. Anzupassende Regelwerke: Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlangen (EVA) Empfehlungen für Anlagen des ruhenden Verkehrs (EAR).

Unterschiedliche Radverkehrsflächen müssen ausreichend dimensioniert werden, um Radverkehr attraktiv und sicher zu machen. Ein verstärktes Aufkommen zwei- und mehrrädriger Lastenfahrräder erfordert größere Breiten, auch zur Vermeidung von Konflikten mit normalen Radfahrer:innen. Anzupassendes Regelwerk: Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA). Bei mehrstreifigen Richtungsfahrbahnen innerorts ist die äußere Spur bei einer Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h nur Feinmobilen vorbehalten. (RAST anpassen). Schließlich muss Parkraum anders organisiert werden mit einer gestaffelten Bemessung von Parkplätzen im öffentlichen Straßenraum, auf Parkflächen, Parkhäusern und Tiefgaragen mit differenzierter Bepreisung (groß und breit = teuer). (EAR anpassen)

Verkehrspolitik und Gesetzgebung

Eine Zurückdrängung eines bis jetzt den Straßenraum dominierenden Kfz-Verkehrs muss durch eine proaktive Förderung der Feinmobiltät erfolgen. Dabei hilft ein europaweiter einheitlicher, rechtssicherer und kontrollierbarer aber innovationsoffener Rechtsrahmen. Zulassungsfaktoren und Regulierungen müssen zeitgemäß sein, um der Vielfalt von Feinmobilen gerecht zu werden. Um die jetzt noch bestehenden Regelungen anzupassen, muss in Zusammenarbeit mit den Branchen ein System von Fahrzeugkategorien gefunden werden nach Größe, Gewicht und bauartbedingter Höchstgeschwindigkeit. Zum Beispiel: die Begrenzung der Nenndauerleistung von 250 W wird für Lastenfahrräder mit elektrischer Tretunterstützung (Pedelec) bei Beibehaltung der bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h abgeschafft. Die Nenndauerleistungsbegrenzung behindert Innovationen!

Das Zulassungs- und Straßenverkehrsrecht muss harmonisiert werden, um die bauartbedingten Höchstgeschwindigkeiten von Feinmobilen im Zusammenwirken mit den Beschränkungen der Geschwindigkeiten unterschiedlicher Straßenkategorien übereinander zu bekommen. Bis dato ist das Straßenverkehrsrecht ein Gefahrenabwehrrecht. Davon gilt es wegzukommen zu einem Gestaltungs- und Verteilungsrecht, nur so können Kommunen wirksam Push- und Pull-Maßnahmen durchführen,um Feinmobilität zu fördern.

Innerorts sollte flächendeckend Tempo 30 als zulässige Höchstgeschwindigkeit eingeführt werden. Ausnahme bilden mehrstreifige Richtungsfahrbahnen, deren innere Spur mit 50 km/h als zulässige Höchstgeschwindigkeit befahren werden darf. Außerorts gilt als Maximum 80 km/h, auf Autobahnen 120 km/h.

Die Straßenraumflächen müssen neu verteilt werden für die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit mit zulässigen Fahrzeugkategorien. Die Straßenverkehrsbehörden müssen die Möglichkeit erhalten, Durchfahrtsbeschränkungen zu erlassen oder gestaffelte Parkgebühren für Kfz nach Größenkategorien in sensiblen Stadtbereichen. Hier können Feinmobile Vorrang erhalten.

Mein erstes FROmobil-Buch

Text: Andreas Pooch – Bilder: The Urban Idea

Der Mitinitiator des Feinmobilitäts-Symposiums – Konrad Otto-Zimmermann – betreibt das Kreativ-Studio „The Urban Idea“, das sich zukunftsorientierter Stadtentwicklung und nachhaltiger Mobilität verschrieben hat. Er hat das FROmobil-Buch gestaltet mit Illustrationen von Michael Bögle. In dem kleinen Bilderbüchlein wird der ganze Rahmen des Umweltverbundes von Mobilität abgebildet und mittels Bildern dargestellt, mit denen Kinder etwas anfangen können. Es geht um die Priorität für Fuß-, Rad- und Oeffi-Verkehr, das ist FROmobilität und mit diesem Büchlein kann es auch den Jüngsten näher gebracht werden.

Kontakt: The Urban Idea GmbH | Erwinstr. 114 | 79102 Freiburg im Breisgau | Tel. +49(0)761/7010009 | E-Mail: info@theurbanidea.com

Leider hat das Büchlein keine ISBN. Es sind aber Sammelbestellungen ab 100 Exemplaren möglich. Es kommen Interessent:Innen in Frage wie KiTa- oder Schulträger, Kommunen und Fahrradläden.